Auf der Suche nach dem Leser

2020-11-27T17:53:44+01:0020. Februar 2013|Tags: , , , , , |

Können die Printmedien ihre Leser noch halten? Und wenn ja, wie viele? Um die Printmedien ist es schlecht bestellt. Sie stehen unmittelbar vor ihrem Untergang. So möchte man meinen, wenn man die Nachrufe im Internet liest. Das möchte man auch dann meinen, wenn man die Reden der Verleger selbst hört. Auf ihren Verbandstagen und in ihren Geschäftsberichten übertrumpfen sie sich gegenseitig mit immer weiter steigenden, digitalen Umsätzen. Burda verkauft derweil Tierfutter und Springer investiert lieber in Reise- und Dating-Portale. Wenn selbst die Verleger ihr gedrucktes Medium zu Grabe tragen, müssen wir das nicht auch tun. Wir könnten das tun, was die Verleger jahrelang versäumten: nämlich nach den Ursachen fragen.

Die Fakten bestätigen, dass die Zeitungen und Zeitschriften in Deutschland an Auflage verlieren. Allerdings nicht halb so dramatisch wie in den USA, wo im vergangenen Jahr reihenweise Zeitungen eingestellt wurden. Vielleicht hat es also doch Sinn, etwas genauer hinzuschauen. Die Auflagen der deutschen Abo-Zeitungen sinken Jahr um Jahr. Niemals dramatisch, dafür aber konstant seit 20 Jahren. Interessanterweise steigen gleichzeitig die Auflagen der meinungsbildenden Wochenzeitungen wie Die Zeit und FAS. Und auch die Anzeigenblätter erfreuen sich wachsender Beliebtheit. Genau genommen verlieren die Tageszeitungen die Leser, denen das Abo schlichtweg zu teuer geworden ist.

Allerdings rücken junge Leser nicht mehr nach: Die Digital Natives informieren sich ausschließlich online. Mit fortschreitender Digitalisierung werden die Auflagen also zwangsläufig weiter sinken. Dennoch finden 18 Millionen Zeitungen jeden Tag ihre Käufer. Bei den Zeitschriften zeigt sich ein eher durchwachsenes Bild. Teilweise rutschen die Auflagen zweistellig ins Bodenlose. Gleichzeitig kommen immer neue Magazine in die deutschen Kioske: Die Zahl der Titel steigt. Es steigt auch die Bedeutung des Corporate Publishing. Immer mehr Unternehmen bringen eigene Magazine – wie das „vernetzt!“, das Sie gerade in Händen halten – heraus. Corporate Publishing boomt. Immer mehr Unternehmen erschaffen eigene Medien. Der Branchenverband FCP spricht von zweistelligem Wachstum und stolzen fünf Milliarden Euro Umsatz.

Der Teufel liegt im Detail

Erst wenn man ins Detail geht, erschließt sich einem das Phänomen der Zeitschriftenentwicklung. Es sind die großen Blätter, die an Auflage verlieren: Hörzu, Stern, Focus, aber auch Brigitte und Freundin. Es sind diejenigen, die sich bemühen, vielfältigste Lesergruppen an sich zu binden. Das gilt selbst für die Frauenzeitschriften, deren Leserinnen mit ihnen älter wurden und deren Redaktionen vor der unlösbaren Aufgabe stehen, sowohl 20- als auch über 50-Jährige zu erreichen. Eine Zeit lang ging das gut. Doch mit der Explosion redaktioneller Angebote – insbesondere im Web – findet jede Frau den Lesestoff, der ihren Bedürfnissen entspricht. Immer weniger jedoch in ihrer ehemals geliebten Frauenzeitschrift.

Gleichzeitig sind im vergangenen Jahr über 100 neue Magazine aus der Taufe gehoben worden. Es sind fast ausnahmslos Special Interest-Magazine mit kleinen Auflagen wie Women’s Health oder die Wiederauflage von Yps und Pardon. Daraus zu schließen, dass die Zukunft den kleinauflagigen Special Interest-Titeln für individuellste Zielgruppen gehört, fällt nicht schwer. Diese Entwicklung wäre schon deshalb revolutionär, weil sie kleinen Verlagen erstmals einen Vorsprung gegenüber den Verlagsgiganten einräumen würde.

Des Rätsels Lösung: Zielgruppe

Bei genauem Hinsehen entdeckt man fasziniert eine gemeinsame Klammer und zugleich auch die Ursache für die Entwicklung der Printmedien: die Zielgruppe. Die Zielgruppe ist nach Definition der Werbebranche die „Gruppe von Personen, an die sich Werbemaßnahmen planmäßig richten, um ein Werbeziel zu erreichen“. Diese Definition gilt auch für jedes Medium, das sich an eine spezielle Gruppe von Menschen richtet. Das entscheidende Wort ist „planmäßig“. Man braucht einen Plan. Man muss sehr genau wissen, welche Zielgruppe man mit seinem Medium anzusprechen gedenkt. Dass das auch für Zeitungen gilt, musste unlängst die Frankfurter Rundschau auf drastische Art und Weise am eigenen Leib erfahren. Sie ist nicht Opfer des Internets geworden, sondern Opfer ihrer schwankenden Zielgruppenausrichtung. Sie musste entscheiden, ob sie eine regionale Zeitung für Frankfurt sein wollte (wofür durchaus Platz gewesen wäre) oder doch eine überregionale Zeitung für Deutschland (was halsbrecherisch hohe Vertriebskosten zur Folge hat). Sie wollte beides, was nicht geht – und wurde folglich weder von ihrer Zielgruppe noch vom Werbemarkt verstanden. Ihr Exitus war vorherzusehen. Auch Brigitte und Freundin werden diesen Drahtseilakt zwischen den Zielgruppenwelten über kurz oder lang nicht überleben. Ebenso wenig wie ein Stern oder Focus, wenn sie sich nicht sehr bald für eine klare Zielgruppe entscheiden.

Denn für das Segment „General Interest“ ist in dieser Welt kein Platz mehr. Am Auflageneinbruch von Reader’s Digest ist das bereits seit Jahren abzulesen. Es gibt jedoch Antworten. Im Segment der Frauenmagazine heißen sie Brigitte, Young Miss und Freundin Donna. Sie haben eine größere Überlebenschance als ihre „Mütter“, werden jedoch niemals ihre Auflagen, geschweige denn ihre Anzeigenumsätze erreichen. Darauf müssen sich die Verlage einrichten. Die Zukunft gilt den kleinen Magazinen mit exakt definierbaren Zielgruppensegmenten – und mit ihnen den kleinen Verlagen. Die Werbekunden werden ihre Massenzielgruppen, wie bisher, im Fernsehen und Radio erreichen. Zur Zuspitzung ihrer Kampagnen auf einzelne Zielgruppen werden sie Print einsetzen beziehungsweise „on“ gehen – woraus sich ebenfalls beste Chancen für Verlage ergeben.

Man braucht einen Plan

Zeitungen und Zeitschriften werden die Digitalisierung und mit ihr die Transformationsphase, in der sich derzeit alle Medien befinden, überleben. Jedoch nur, wenn sie sich an klar definierten Zielgruppen ausrichten. Regionale Zeitungen müssen auf ihre lokale Leserschaft fokussieren und ihnen höchste, journalistische Qualität liefern: Orientierung, Hintergründe, Kommentare, Meinung. Wer hier spart – wie es die meisten Verlage bedauerlicherweise tun – wird 2020 nicht erleben.

Überregionale Zeitungen scheinen für die Zukunft gut aufgestellt, sie müssen jedoch dringend neue und junge Leser an sich binden. Durch das kostenlose Einstellen ihres Contents ins Netz begeben sie sich in große Gefahr. Gerade die Zeitungen müssen ihre Leser daran gewöhnen, dass Qualität ihren Preis hat. Wer keine Qualität liefert und keine einzigartigen Inhalte, wird zwangsläufig das Nachsehen haben. Die Zeitschriften müssen ihren Weg zu ihren Zielgruppen finden. Solange es noch Couches gibt, wird es Zeitschriften geben. Sie sind das Cocooning-Medium, das Abschalt-Medium, das „Lass-mich-jetzt-mit-meinem- Lieblingsthema-beschäftigen“-Medium. Sie sind für jede ihrer Zielgruppen an Qualität und Loyalität nicht zu überbieten. Offline wie online. Die Plattform spielt dabei keine Rolle, sondern die Funktion. Entscheidend für die Print-Zukunft ist ein einziges Wort: „Zielgruppe“.

von Thomas Koch

Thomas Koch ist Deutschlands profiliertester Media-Profi. Er gründete die Mediaagentur tkm und war CEO von tkmStarcom, er ist Chef der Beratung tk-one und Partner beim Unternehmen „Warum Wippt Der Fuß?“, er schreibt Kolumnen für diverse Fachzeitschriften, ist Initiator von The Third Club und Herausgeber von „Clap“. Capital bezeichnete Thomas Koch 1995 als „Profiliertesten Vordenker der deutschen Werbung“. 2004 nahm ihn Media & Marketing Europe in die Galerie der 15 Personen auf, die die europäische Werbebranche am meisten bewegten, und 2008 war Thomas Koch Mediapersönlichkeit des Jahres. Weil ihm Medien und Menschen am Herzen liegen, kümmert er sich als Managing Partner von Plural Media Services darum, dass sich unter anderem im Irak, in Sudan und Afghanistan eine Werbewirtschaft entwickelt – weil die eine Grundbedingung für eine unabhängige Medienlandschaft ist. Unbedingt lesenwerte Texte von Thomas Koch finden Sie unter anderem in seinem Blog ufomedia.posterous.com „Für das Segment ‚General Interest‘ ist in dieser Welt kein Platz mehr.“

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