Bessermacher

vernetzt-magazin, ausgabe macher, artikel bessermacher, roman molch

Gemeinhin geht ein großes Klagen durch die Customer Service-Branche. Ach, das Geschäft ist schwierig geworden: Auftraggeber drehen an Kostenschrauben, bis es schmerzt. Das Image der Branche ist nach wie vor mau. Mitarbeiter sind extrem schwer zu haben, oft krank, schnell weg. Eine auskömmliche Marge ist kaum zu erzielen, und wenn wer überhaupt noch gut verdient, dann sind es die internationalen Service-Konzerne, die höchst effizient, weltumspannend und bis ins Detail optimiert agieren … so klingt das Lamento, das hiesige Service-Unternehmen gern anstimmen.

 

Und dann spricht man mit Roman Molch, dem – und das entbehrt für den Chef eines Call Centers nicht einer gewissen Ironie – beim Telefoninterview erst mal das Telefon vom Schreibtisch fällt. Die ersten Minuten gehören also schallendem Gelächter. Auch danach bleibt es heiter. Roman Molch ist Chef von gevekom. Das Call Center mit Hauptsitz in Dresden ist unter seiner Ägide binnen zehn Jahren von 85 auf 940 Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter gewachsen. Es unterhält heute acht Standorte, darunter in Belgrad und Palma de Mallorca. Zu den Kunden zählen HSE24, myToys, bett1.de, Allianz Automotive oder HelloFresh. Der Umsatz lag im Jahr 2018 bei gut 20 Millionen Euro.

 

Das wäre soweit schon eine schöne Macher-Story. Was allerdings den 40-Jährigen zum Branchenexoten macht, ist sein kompromissloser Fokus auf die Mitarbeiterzufriedenheit. Gut, das ist so ein Punkt, den sich alle, wirklich restlos alle Wettbewerber von Roman Molch heutzutage auch auf die Fahnen schreiben. Molch, der neben Hauptgesellschafter Wolfram Gürlich eine Minderheitsbeteiligung an gevekom hält, allerdings opfert ordentlich Marge für seine Mitarbeiter. Die Spanne der Investitionen reicht von der betrieblichen Altersvorsorge über Sommercamps für Mitarbeiterkinder, Team- und Familien-Events, kostenlose Fitness-Studiobesuche und gesundheitsfördernde Maßnahmen, Jobtickets und Betriebsfahrräder bis hin zur kostenlosen Kinderbetreuung, Mutti- und Vati-Schichten oder ein kostenloses Frühstück für alle. Letzteres bereitet eine eigens angestellte italienische Köchin zu, die ihre Arbeit, so erzählt es Roman Molch, gern singend verrichtet. Für all diese Wohltaten hat gevekom schon viele Preise gewonnen. Das allein kann ja aber die Motivation nicht sein. Wir haben deshalb Roman Molch gefragt, warum er tut, was er tut.

 


 

Herr Molch, wenn man sich die kununu-Einträge über die gevekom anguckt, dann herrschen in Ihrem Unternehmen entweder sehr gute Arbeitsbedingungen oder es wird gelogen, dass sich die Balken biegen.

 

Roman Molch: Dass gelogen wird, hat kununu auch mal geglaubt, unsere Bewertungen komplett abgestellt und eine Misstrauensprüfung gemacht: Alle, die Bewertungen für uns abgegeben hatten, mussten ihre Daten offenlegen. Das war für uns zuerst ein herber Schlag, denn wir waren nackt – die Öffentlichkeit informiert sich bei kununu und wenn da nichts steht, ist das schlecht. Letztlich hat uns die Prüfung nur gutgetan, denn die Bewertungen für uns waren echt. Ich finde gut, dass das gemacht wird, denn es schützt uns vor Fakes. Wir fordern unsere Mitarbeiter immer auf, uns zu bewerten. Das fängt schon bei den Bewerbungsgesprächen an. Man muss mit Kritik umgehen können, bei uns darf jeder seine Meinung sagen.

 

Samantha machte jeden Morgen Frühstück für die Mitarbeiter

 

All die Gefälligkeiten rund ums Arbeiten sind teuer. Geht es nicht generell heftig auf die Marge, was Sie für Ihre Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter tun?

 

Klar geht das auf die Marge. Aber wir haben im Gesellschafterkreis beschlossen, dass wir das Geld, das wir verdienen, in Mitarbeiterzufriedenheit reinvestieren. Wir geben zum Beispiel bis zu 12.000 Euro pro Monat für das Frühstück aus, denn man braucht technisches Equipment, man braucht eine Zulassung und eine Köchin. Das ist unheimlich viel Geld, das reiner Ertrag wäre. Aber: Das Frühstück ist nicht mehr wegzudenken. Es ist zur Institution geworden.

 

Warum tun Sie das?

 

Ich mache das nicht bloß aus Nächstenliebe, die Mitarbeiter sollen stolz sein, bei uns zu arbeiten. Mal ehrlich: Call-Center-Agent zu sein wird in Deutschland von niemandem als Traumberuf bezeichnet, oder?

 

Und was macht ihn beliebter?

 

Wir stellen bei unseren Events immer die Verbindung zu den Familien her. Wir gehen also nicht mit Mitarbeitern ins Kino, sondern mit Mitarbeitern und deren Familien. Ich will, dass die Leute sehen, dass die Arbeit im Call Center nicht so schlecht ist, wie es draußen immer heißt. Die Familien tragen das mit, wenn sie sehen, wie es bei uns ist.

 


 

Gemeinsame Events gehören zur Unternehmenskultur

 


 

Warum zahlen Sie nicht einfach besser?

 

Ich kann genauso wenig an den Löhnen machen wie alle anderen Unternehmen auch. Wir sind kein karitativer Verein, wir sind eine GmbH und müssen Gewinne erzielen. Kundenservice ist hart. Aber wenn die Umgebung freundlich ist, wenn man mit einem Frühstück begrüßt wird, wenn die Führungskräfte mit einem Lächeln durch die Büros laufen, ist schon mal viel gewonnen. Wir arbeiten zwar im Niedriglohnniveau, aber doch wenigstens in guter Umgebung. Das kann jeder nachmachen.

 

Trotzdem ist ja auch gevekom dem Kostendruck ausgesetzt …

 

… ich wüsste sofort, wo ich sparen könnte. Aber ich hätte eine höhere Fluktuation, höhere Rekrutierungskosten, höhere Schulungskosten. Familien- und mitarbeiterfreundlich zu sein rechnet sich.

 

Woher kommt der starke Fokus auf Familie?

 

Ich bin jetzt 40 Jahre alt. Früher bin ich um 9 Uhr ins Büro und nie vor 21 Uhr wieder raus. Ich wollte das so, ich war ein Arbeitstier. Wir waren alle so –  eine Gruppe von Leuten, die das toll fand, Dann habe ich ein Pflegekind bekommen, das ich später adoptiert habe, und damit hat sich alles geändert: Ich wollte nicht, dass Tayler der Letzte ist, der im Kindergarten am Zaun steht und darauf wartet, dass ihn jemand abholt. Heute gucke ich nicht mehr schief, wenn jemand um 16 Uhr geht, um sein Kind abzuholen, sondern sage: „Beeil Dich, Dein Kind wartet.“ Ein Drittel unserer Schichten sind Mama- und Papa-Schichten, die wir überplanen, damit sie funktionieren.

 

Roman Molch mit Sohn Taylor

 

Ist das rentabel?

 

Das lohnt sich, wenn sie auch Outbound machen. Unsere Mitarbeiter sind auf mindestens drei Skills geschult, da wartet keiner auf einen Call.

 

Wie steht es denn um Fluktuation und Krankenstand bei gevekom?

 

Im Aufbau eines Projektes ist sie höher, später niedriger. Die Krankenquoten liegen im einstelligen Bereich, wir führen Rückkehrergespräche, senden Genesungspostkarten. Wenn jemand zu oft krank ist, folgen auch disziplinarische Maßnahmen bis hin zur Kündigung. Eine gute Beziehung verträgt auch mal eine längere Krankheit, aber keine kurzzeitigen dauerhaften Aussetzer.

 

Wie gehen Sie mit Enttäuschungen um?

 

Ich habe ganz viele Enttäuschungen hinter mir. Wenn man im Call Center arbeitet, arbeitet man nicht mit Maschinen. Das ist ein bisschen wie im Zirkus, es entstehen jeden Tag Emotionen. Ich sitze mittendrin, jeder kann jederzeit zu mir kommen. Wir verstecken uns nicht. Wir verstellen uns nicht, wir machen keine große Show – und wir trennen uns, wenn jemand unsere Gutmütigkeit ausnutzt. Da sind wir konsequent. Ich bin gerade auf Schulsuche für meinen Sohn und habe mir auch eine Waldorfschule angeguckt. Dort entscheiden die Kinder zwischen der Klasse 1 und 4 selbst, wann sie Schreiben lernen wollen. Das ist mir zu viel. Es braucht Strukturen und Regeln, an die sich alle halten müssen.

 

Dabei betonen Sie aber auch gern, dass gevekom ein bisschen chaotisch ist, oder?

 

Im ersten Moment sind wir ein dynamischer und beweglicher Chaotenladen, das stimmt. Real sind wir der lebende Beweis für agile Arbeitsweise mit sehr vielen guten Ideen. Wir halten zusammen wie Pech und Schwefel, und bei uns gewinnt der, der seine Ärmel hochkrempelt. Das funktioniert sehr gut. Es gibt immer mal wieder Kollegen, die kommen und sagen: „Wir brauchen da einen Prozess.“ Aber Menschen sind keine Prozesse. Wir leben das Verantwortungsgefühl untereinander und ich hoffe, dass es so bleibt und wir unsere Unternehmenskultur im Herzen tragen und sie nicht als Leitsätze oder Regeln ins Treppenhaus hängen müssen. Dann ist alles zu spät.

 


 

 


 

Wie kriegen Sie es hin, diese Kultur über acht Standorte zu verankern?

 

Wir haben 111 Führungskräfte, die ich alle selber eingestellt habe. Die sind der Garant dafür, dass ich Kultur, Ideen und Werte weitertragen kann. So schaffen wir es, die Kultur an alle Standorte zu transportieren, Das ist eine Herausforderung. Übrigens lese ich Lebensläufe und Zeugnisse aus Prinzip immer erst nach einem Bewerbungsgespräch. Die fachliche Komponente können wir nachausbilden, die menschliche ist fertig.

 


 

Diesen Beitrag teilen

Nach oben