Liebe Leserin, lieber Leser, um mal gleich mit der Tür ins Haus zu fallen: Mir geht das Gerede vom Wert des Scheiterns auf die Nerven. Ich kann es nicht mehr hören, dass in Unternehmen nun eine ganz neue Toleranz herrschen soll, dass sich die Führungsspitze geradezu wünscht, dass Ideen in die Binsen gehen, eben weil das so viel Kraft, Energie und Kreativität freisetzt. Ich halte das für wohlfeile Lippenbekenntnisse und bin fest davon überzeugt, dass bei 90 Prozent aller groben Schnitzer wahlweise der CEO, die Personalchefin, der Aufsichtsrat, das Finanzamt, Juristen, die Polizei, der Scheidungsanwalt, die Presse oder Millionen Fußballfans beim Delinquenten auf der Matte stehen.
Es mag ja sein, dass man aus Fehlern lernt, das heißt aber noch lange nicht, dass es quasi eine Willkommenskultur für sie gäbe. Zugegeben, progressive Firmen schmücken sich mit Labs und Think Tanks, Accelerators und Inkubatoren, in denen alle prächtig rumprobieren dürfen. Fällt Ihnen was auf? All das klingt nicht nach Finanzplänen, Renditevorgaben und Quartalsberichten. Es scheitert sich schöner, wenn man im geschützten Raum spielt.
„Aber es gibt doch inzwischen sogar FuckUp Nights und gar ganze Konferenzen übers Scheitern“, werden Sie nun sagen. Stimmt! Aber haben Sie mal geguckt, wer da fröhlich vom Fallen erzählt? In der Regel sind es junge Gründer mit digitalen Geschäftsmodellen, die – außer natürlich unglaublich viel Arbeit und einen Traum – nicht viel zu verlieren haben. Vergeblich sucht man den Top-Banker, der von Fehlern spricht. Den Marketingvorstand. Die Maschinenbauingenieurin. Die Chefärztin. Den Lehrer. Die Inhaber in dritter
Generation. Warum? Weil die mächtig was auf die Mütze kriegen, wenn sie scheitern, und Fehler lieber vergessen möchten, statt sie vor sich herzutragen. Unbenommen: Eine Fehlerkultur wäre wünschenswert. Bis es so weit ist, werde ich alles daransetzen, möglichst wenig Fehler zu machen. Denn ich fürchte, es ist so, wie es der große Alfred Döblin in seinem gleichnamigen Roman vom Scheitern eines Mannes schon 1935 schrieb: Pardon wird nicht gegeben.
Vera Hermes
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