„Das Motto muss sein: Einer geht, einer kommt“

2020-11-27T17:25:23+01:0014. September 2016|Tags: , , |

Warum Reife der Führungsrolle nicht schadet, Patriarchentum ausgedient hat, Geld nur noch ein kleiner Teil der Lösung ist und Führen mit gesellschaftlichem Wandel zu tun hat. Ein Gespräch über Führen und Loslassen mit dem Selfmade-Man Erich Schuster, 71 Jahre alt, und seinem Sohn Claus Schuster, 48 Jahre alt, der aus einem prosperierenden Unternehmen ein noch prosperierenderes Unternehmen gemacht hat.

IST GUTE UNTERNEHMENSFÜHRUNG EINE FRAGE DES ALTERS?

Erich Schuster (71): Wenn ich einen Lebensmittelladen führe, kann ich das auch als Älterer machen. Aber in einem Unternehmen, das so im Wandel ist wie unseres, geht das nicht. Ich war früher Schriftsetzer, heute wissen die Jüngeren gar nicht mehr, was ein Schriftsetzer ist. Früher haben wir Mailings gemacht, heute Social Media und E-Commerce.

Claus Schuster (48): Grundsätzlich ist es nicht schädlich, Lebenserfahrung zu haben, um gut zu führen. Als Jüngerer glaubt man, dass man alles kann. Es kommt auch aufs Geschäft an: Je nach Branche und Grad der digitalen Transformation brauchen Firmen andere Unternehmer. Es ist trotzdem wichtig und nicht schädlich, gereift zu sein, um ein Unternehmen zu führen und um menschlich und empathisch zu sein.

Erich Schuster: Theoretisch könnte ich führen bis ich 80 bin, dann wäre der sogenannte Junior 60 Jahre alt. Das geht nicht. Es ist zwar schon sehr schwer, sein Unternehmen abzugeben, aber es ist auch eine Pflicht.

HAT SICH FÜHRUNG VON MENSCHEN IN DEN VERGANGENEN JAHRZEHNTEN EIGENTLICH GEÄNDERT?

Erich Schuster: Mit Sicherheit! Ich habe als Patriarch geführt. Das war damals auch einfacher. Anfangs waren wir nur drei Mitarbeiter, dann wur den es innerhalb von zehn Jahren mehr als 100. Ein patriarchalischer Führungsstil ist heute nicht mehr möglich. Menschen wollen mehr Verantwortung übernehmen und sich im Beruf ausleben.

Claus Schuster: Was immer wichtig war und bleibt, ist die menschliche Komponente. Wertschätzung gegenüber den Mitarbeitern ist ein wichtiges Element. Das war für meinen Vater so und das ist für mich auch so. Führung verlangt heute mehr Teamfähigkeit, vernetzen, abgeben, Spielraum einräumen. Menschen bleiben bei uns, weil sie Eigenverantwortung bekommen. Wir sind außerdem ein familiengeführtes Unternehmen, denken also nicht kurzfristig nur ans nächste Quartal, sondern glauben auch in schwierigen Zeiten ans Unternehmen statt zu entlassen. So hält man gute Leute. Manchmal wäre vielleicht eine schnelle, harte Entscheidung nicht schlecht. Aber für die Qualität wäre sie verkehrt.

FÜHREN SIE ANDERS ALS IHR VATER?

Claus Schuster: Komplett anders! Ich bin bei weitem nicht so tief in der Materie, wie es mein Vater sein konnte. Ich habe zum Beispiel keine Ahnung von Data Mining-Analysen. Wenn wir wachsen wollen, ist die Führung der limitierende Faktor. Ich kann das Unternehmen nicht auf die gleiche Weise größer machen, wie mein Vater das gemacht hat. Ich muss gute Talente um mich scharen, um das Unternehmen größer zu machen, denn das Leistungsspektrum ist heute viel zu breit, zu vielfältig und zu dynamisch, als dass einer allein es beherrschen könnte.

WIE HAT DENN DER STABWECHSEL ZWISCHEN IHNEN BEIDEN GEKLAPPT?

Erich Schuster: Das Motto muss sein: Einer geht, einer kommt. Man darf nicht mit seinem Sohn einen neuen Soldaten einstellen. Ich habe mich komplett zurückgezogen und bin nur noch als Berater tätig – und das auch nur, wenn mein Sohn das wünscht. Dadurch hat Claus seinen eigenen Führungsstil prägen können.

Claus Schuster: Es gibt keine Zwei. Hätte mein Vater das anders gehandhabt, wäre ich gegangen.

IST IHNEN SCHWERGEFALLEN, DAS UNTERNEHMEN ZU ÜBERGEBEN?

Erich Schuster: Das ist ungefähr so, als würde einem ein Bein amputiert.

WIE HABEN SICH EIGENTLICH DIE ZU FÜHRENDEN MENSCHEN GEÄNDERT … STICHWORT: GERINGERE HIERARCHIEGLÄUBIGKEIT, STREBEN NACH WORK-LIFE-BALANCE?

Claus Schuster: Ich mache das seit elf Jahren und schon in dieser Zeit hat sich vieles geändert. Damals haben wir uns noch überlegt, wie wir alleinerziehende Mütter integrieren und ob wir Home Office gewähren sollen. Man muss sich immer anschauen, wie sich die Gesellschaft entwickelt, und darauf reagieren. Heute sind alleinerziehende Mütter leider normal. Und wir haben eine Überalterung – da ist es klar, dass junge Leute mit einem ganz anderen Selbstbewusstsein auftreten. Das Arbeitsumfeld ist ein wichtiges Thema. Wir versuchen, das Gemeinschaftsgefühl zu stärken, zum Beispiel mit einem eigenen Campus oder unserem internen Fitnessstudio. Wir haben auch eine externe Hotline mit einer neutralen Person eingerichtet, an die sich unsere Mitarbeiter mit privaten Problemen wenden können. Das hat man früher nicht machen müssen. Wir tun das, um unsere Mitarbeiter langfristig zu binden und neue zu gewinnen. Es war früher anders, aber es war auch vor 20 Jahren anders als vor 10 und vor 10 Jahren anders als heute. Heute müssen junge Menschen teilweise wieder lernen, von Angesicht zu Angesicht miteinander zu kommunizieren statt per Mail, SMS oder WhatsApp. Die technologische Entwicklung wird weitere Herausforderungen für uns bereithalten.

Erich Schuster: Es gibt dieses Schlagwort Arbeitgeberattraktivität. Die hat man früher mit dem Gehalt geschaffen. Heute ist das Gehalt nur noch ein Teil dieser Attraktivität.

Claus Schuster: Eigenverantwortung und Freiraum sind große Themen, Work-Life-Balance eigentlich nicht so. Wenn es Spaß macht, arbeiten die Leute gern und viel. Wir veranstalten aber auch Seminare, die Menschen helfen, mit Stress und Konflikten umzugehen, da sind Unternehmen heute anders gefordert.

HEUTE ZÄHLT MANCHES ERFAHRUNGSWISSEN NICHT MEHR. DIGITAL NATIVES SIND IHREN VORGESETZTEN IN OPERATIVEN FRAGEN BEZÜGLICH SOCIAL MEDIA & CO UM MEILEN VORAUS, WAS FÜHRUNG JA AUCH NICHT GERADE EINFACHER MACHEN DÜRFTE. WAS ALSO TUN, UM IN EINER DIGITALISIERTEN WELT ALS FÜHRUNGSKRAFT ANERKANNT ZU WERDEN?

Claus Schuster: Es ist wichtig, dass man die Branche versteht, in der man arbeitet. Es geht auch darum, gute Fragen zu stellen. Ich mag das Wort Führungskraft nicht, Führungspersönlichkeit ist mir lieber. Du wirst nicht zum Chef gemacht. Das geht über Verhalten – sich zurücknehmen, sich nicht überlegen fühlen, empathisch sein, uneitel sein, eine gesunde Neugier haben. Viele Chefs sind solche Gockel, da braucht es einen ganzen Hühnerstall – aber das funktioniert nur temporär.

HERR SCHUSTER SENIOR, VERMISSEN SIE IHRE ROLLE IM UNTERNEHMEN?

Erich Schuster: Ich habe mir neue Spielwiesen gesucht und zum Beispiel eine Defacto.x- Stiftung gegründet, die bisher 600 Kindern das Antreten einer Lehrstelle ermöglichte. Außerdem habe ich mir ein Tagungshaus am Spitzingsee gekauft, in dem ich Gipfeltreffen, zum Beispiel mit Walter Kohl oder Markus Wasmeier, veranstalte. Dann habe ich eine Gesundheitsfirma gegründet, an der Philipp Lahm mitbeteiligt ist und die dazu beitragen soll, dass Leute gesund bleiben. Um mich selbst fit zu halten, fahre ich mit dem Fahrrad durch Vietnam oder Namibia. Langeweile habe ich also nicht.

Claus Schuster: Wenn der Abgebende keinen Plan für das Danach hat, wird es extrem schwierig, denn wer keinen Plan hat, fällt in ein großes schwarzes Loch. Darüber machen sich Menschen zu wenig Gedanken. Loslassen ist nicht einfach. Da habe ich Hochachtung vor meinem Vater. Die unternehmerische Leistung ist erst dann vollbracht, wenn du ein Unternehmen erfolgreich geführt und erfolgreich übergeben hast. Das kommt auf uns auch irgendwann zu.

Defacto.x bietet Leistungen rund um CRM, Dialogmarketing und Consumer Centricity. Vor elf Jahren übernahmen Claus Schuster und sein Schwager Jan Möllendorf die damalige Direktmarketingagentur von Erich Schuster. Das 1989 gegründete Familienunternehmen erwirtschaftete im Jahr 2015 mit 370 Mitarbeitern rund 50 Millionen Euro Umsatz in 65 Ländern. Zu den Kunden zählen Audi, Hugo Boss und Esprit. Erich Schuster ist für sein soziales Engagement vielfach ausgezeichnet, zum Beispiel mit dem Bundesverdienstkreuz am Bande – am Tag dieses vernetzt-Interviews erhielt er die IHK-Ehrenmedaille für seine Verdienste um die mittelfränkische Wirtschaft. Der gelernte Schriftsetzer hat sich als „Autodidakt und Nicht-Studierter“ über Jahre hinweg in Abendkursen weitergebildet. Erst mit 45 Jahren startete Erich Schuster mit Defacto in die Selbstständigkeit, 2008 zog er sich aus dem operativen Geschäft zurück … um sich neuen Unternehmungen, dem Networking, seiner Stiftung und spektakulären Reisen zu widmen.

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