Den Mutigen gehört die Welt

2020-11-27T18:02:53+01:0025. Februar 2012|Tags: , , , , , , |

Es war eine steile Karriere von der Telefonistin bis zur Top- 300-Managerin bei der Telekom. Auf dem vermeintlichen Gipfel ihres Erfolges stellte Iris Gordelik fest, dass die Traumposition ein Albtraum ist. Es folgte ein Burnout, aus dem sie gestärkt, selbstbestimmt und mit glasklaren Werten hervorgegangen ist.

Stetig war es bergauf gegangen: Iris Gordelik startete ihre Karriere im Ratinger Fachverlag Argetra, baute dort eine Telefonabteilung auf. Es folgte der Job als Teamleiterin beim Call- Center-Dienstleister TAS Langenfeld. Als gut neun Jahre später der TAS-Standort in Bochum gegründet wurde, ging Iris Gordelik mit – als Projektleiterin. Bald darauf wurde sie Call-Center-Leiterin und Mitglied der Geschäftsleitung. Es waren goldene Jahre. TAS Bochum wuchs, zuletzt auf 2.500 Mitarbeiter. 1997 kaufte der US-Konzern Sykes das Unternehmen. Iris Gordelik blieb noch zwei Jahre als Director Business Development für Deutschland und Skandinavien, dann warb sie ein Headhunter zur Telekom ab.

Es folgte ein weiterer Karrieresprung: Als Senior Executive Vice President, Bereich Mehrwertdienste, Deutsche Telekom AG, zählte sie zu den Top-300-Managern des Unternehmens und war eine von nur drei Frauen in dieser Riege. Die Managerin, für die die Bezeichnung „rheinische Frohnatur“ erfunden sein könnte, hatte es geschafft: mit 38 Jahren Topverdienerin mit Chauffeurservice und allem Pipapo bei einem der größten Unternehmen Deutschlands. Mehr kann man nicht wollen, sollte man meinen.

„Es ist, als würdest du unter Schmerzen und Mühen den Mount Everest besteigen. Irgendwann bist du endlich oben angekommen und stellst fest: Hier will ich gar nicht hin. Es war die falsche Richtung. Aus gesellschaftlicher Sicht hatte ich alles richtig gemacht, nur mein Inneres sagte mir: Du fühlst dich hier nicht wohl“, resümiert Iris Gordelik rückblickend. Sie hatte ihren einflussreichen Posten in dem Konzern in der Erwartung angetreten, Dinge bewegen zu können, ein bisschen „die Welt zu verändern“. Bei der TAS pflegte sie ein sehr enges Verhältnis zu Mitarbeitern und Führungskollegen. Sie war es gewohnt, unternehmerische Entscheidungen zu treffen und deren Auswirkungen auf den Erfolg direkt zu spüren. Ihr Fehler: Sie hatte unterschätzt, dass derlei unmittelbares Agieren in einem Konzern unüblich ist, dort sind Konzern-, Vorstands- und Aktionärsinteressen zu berücksichtigen. Die persönlichen Steuerungsmöglichkeiten eines einzelnen Managers sind gering. „Trotz der privilegierten Situation im Konzern war ich in dem, was mir wichtig ist, amputiert“, sagt Iris Gordelik.

Ihr Dilemma bestand darin, dass niemand im Familien- und Freundeskreis ihre Unzufriedenheit verstand. Ausgestattet mit Statussymbolen und Privilegien, erschien jedem ihre Arbeit als Traumjob. Für die fehlenden Gestaltungsspielräume und Entfaltungsmöglichkeiten bekäme sie schließlich reichlich Schmerzensgeld, argumentierten die Freunde. Sie möge sich doch bitte nicht so anstellen. Die berufliche zog eine private Unzufriedenheit nach sich. „Mir war klar: Egal, was ich tue, ich verliere auf jeden Fall. Das waren meine Gedanken. Was dann kam, kann ich nicht erklären. Es gab plötzlich kein Rauskommen mehr. Ich wachte eines Morgens mit einem Gefühl auf, das ich in meinem ganzen Leben noch nie verspürt hatte: Ich wollte nicht aufstehen, dem Tag nicht entgegensehen. Natürlich war ich pflichtbewusst und bin trotzdem aufgestanden, aber ich habe mich gefühlt und funktioniert wie ein Roboter.“ Iris Gordelik, von Natur aus ein fröhlicher Mensch, zog sich in sich selbst zurück. Das Schlimmste daran: Das Umfeld merkte augenscheinlich nichts. Sie selbst hatte das Gefühl, im Beruf nur ein Drittel dessen zu leisten, was ihr eigentlich möglich gewesen wäre. Im Unternehmen fiel das niemandem auf. Eine deprimierende Erfahrung. Privat umgaben sich viele gern mit der erfolgreichen Managerin und fühlten nicht, dass da etwas nicht mit ihr stimmte.

„Die Frage, die ich mir damals immer wieder stellte, war: Wo soll ich denn hin? Ich bin keine zwanzig mehr, was soll ich tun?“ Die Ehe ging in die Brüche und auch beruflich zog Iris Gordelik die Reißleine. Sie kündigte und verschwand für ein halbes Jahr von der beruflichen Bildfläche. Erst stürzte sie sich ins Partyleben, dann verließ sie wochenlang nicht mehr das Haus. „Ich weiß nicht, wie ich die Zeit herumgekriegt habe“, erklärt sie heute, „ich hatte das Gefühl, das Thema Karriere läge hinter mir.“ Ohne Job fehlte das Einkommen, das Geld wurde knapp. Zugleich kam die „alte“ Iris langsam wieder zum Vorschein. „Erst habe ich mich nicht getraut, mit alten Arbeitskollegen Kontakt aufzunehmen, irgendwann habe ich mich dann aber doch wieder auf mein Netzwerk besonnen“, berichtet sie. Sie stellte ihr Haus bei Immonet im Internet ein, führte Verkaufsgespräche und sprach zeitgleich mit Headhuntern. Die gestandene Fachfrau bekam viele Angebote, lehnte jedoch allesamt ab. Ihr Ziel: eine nachhaltige und eigenverantwortliche Arbeit. Keine Politik, keine langen Entscheidungswege, keine Distanz zu den Menschen. „Ich habe mich für Selbstentfaltung entschieden, wollte mich nie mehr in ein System pressen lassen. Ich wollte einfach etwas anderes tun, ohne zu wissen, was.“ Dazu bedarf es Mut.

Sie verließ sicheres Terrain – übrigens auch im übertragenen Sinn: Iris Gordelik zog aus dem Rheinland in den Großraum Hamburg. Ihr war klar, dass sie künftig nur noch ihr eigener Maßstab sein wollte. Ob das zum Geldverdienen reichen würde, wusste sie allerdings nicht. Den Mutigen gehört die Welt, sagt ein Sprichwort. Und tatsächlich: Zu ihrem Mut gesellte sich Glück. Sie hatte begonnen, das eine oder andere Beratungsmandat anzunehmen. Einer ihrer Auftraggeber war AOL. Und dort fragte man sie nach kurzer Zeit, ob sie nicht jemanden für eine Spezialistenposition im Unternehmen kenne, sie sei doch so gut in der Customer-Care- Branche vernetzt. Das war die Initialzündung. „Ich wusste intuitiv, wen ich fragen musste. Drei Wochen später waren gleich zwei Positionen durch sie besetzt. Das passte wie die Faust aufs Auge. Ich hatte ein Geschäft getätigt, ohne zu wissen, wie es geht und wie ich es bepreisen soll. AOL hat mir auf den Kopf zugesagt, was ich am besten kann: Ich bin gut vernetzt, kenne die Anforderungen an Positionen und die Unternehmensseite. Da wusste ich, womit ich mein Geld verdienen würde“, strahlt sie und fügt hinzu: „Ich hatte mittlerweile wieder so viel Selbstbewusstsein, dass ich mir nicht vorstellen konnte, keinen Erfolg zu haben.“ Es folgte ein kurzes Intermezzo bei einer Hamburger Personalberatung, aber Iris Gordelik war schnell klar, dass sie, um wirklich frei zu sein, ihr eigenes Unternehmen aus der Taufe heben musste.

Und so gründete sie am 1. April 2004 die Personalberatung Gordelik AG. Seit ihrer Kündigung bei der Telekom bis zur Gründung der Gordelik AG waren nur eineinhalb Jahre vergangen. Das sei keine lange, aber eine sehr intensive Zeit gewesen, sagt sie heute. Ob sie rückblickend etwas anders machen würde? „Man kennt das von Menschen, die eine schlimme Krankheit überstanden haben. Sie ziehen sehr viel Kraft und Lebenserkenntnis aus ihrer Leidenszeit. So geht es mir auch nach dieser schlimmen Zeit. Würde Gott mich fragen, ob ich den Weg noch einmal gehen würde, würde ich mit Ja antworten, denn diese Phase hat mich sehr viel gelehrt. Auch für meinen Beruf. Ich wäre als Personalberaterin nicht so, wie ich heute bin. Jeden, den ich kennenlerne, der sich mir anvertraut, betrachte ich ganzheitlich. Mir ist bewusst, dass Berufliches, Privates und persönliche Werte zusammen betrachtet werden müssen. Wenn mir jemand sagt, dass ihn seine Arbeit nicht mehr glücklich macht, höre ich ganz anders zu. Und ich glaube und wünsche mir, dass ich deshalb für unsere Kandidaten ein guter Gesprächspartner bin und den Unternehmen Kandidaten vorstelle, die zu ihnen passen. Ich ermutige die Kandidaten, ihre Emotionen zu formulieren.“

Ihre Burnout-Erfahrung hat sie gelehrt, dass jeder selbstbestimmt und bewusst entscheiden sollte, statt sich von Erwartungen anderer einschränken zu lassen. „Jeder muss seinen Weg finden, egal welchen, jeder ist individuell und sollte auf seine eigenen Bedürfnisse hören!“, appelliert die Personalberaterin. „Mein Lieblingsbild dazu ist Folgendes: Bin ich Ball oder bin ich Schläger?“. Ist sie angesichts ihrer bereits länger zurückliegenden Krise demütiger geworden? Iris Gordelik antwortet: „Wer mich gut kennt, weiß, dass ich Erfolge zu feiern weiß. Ein Kompliment von einem Kandidaten oder Unternehmen macht mich glücklich. Diese Fähigkeit, mich zu freuen, impliziert sowohl Bescheidenheit als auch Demut. Wenn mich das nicht immer wieder so glücklich machen würde, wäre es ja nichts Besonderes mehr für mich. Ich bin dankbar, dass ich die Fähigkeiten habe, etwas aufzubauen und damit Erfolge zu feiern.“

Text: Vera Hermes

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