"Die Naivität ist gross"

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Mit Cem Karakaya zu telefonieren ist eine zweischneidige Sache: Einerseits hat man unglaublich viel zu lachen, weil der Cybersecurity-Spezialist der Internationalen Polizei Vereinigung (IPA) in München sehr launig über fiese Internetkriminalität erzählen kann. Es ist ein großes Vergnügen, ihm zuzuhören. Andererseits gefriert einem das Blut in den Adern, denn es wird im Laufe des Gesprächs immer klarer, dass man selbst im Umgang mit digitalen Geräten oft maximal dämlich handelt und bislang mehr Glück als Verstand gehabt hat. Allerwärmstens lege ich Ihnen die Lektüre des ebenso unterhaltsamen wie furchteinflößenden Buchs von Cem Karakaya ans Herz: „Die Cyber-Profis. Lassen Sie Ihre Identität nicht unbeaufsichtigt“ lautet der Titel. Karakaya hat es gemeinsam mit der ZEIT-Journalistin Tina Groll verfasst. Während der Lektüre werden Sie zumindest das eine oder andere Passwort ändern, so viel ist mal sicher.

 

Herr Karakaya, wer muss eigentlich mehr Angst vor Internetkriminalität haben: Privatleute oder Unternehmen?

 

Cem Karakaya: Beide. Aber natürlich sind Firmen häufiger betroffen. Internetspionage steht in Deutschland an dritter Stelle der Wirtschaftskriminalität – das liegt daran, dass Deutschland wirtschaftlich vorne ist und die Unternehmen viel Geld in Forschung & Entwicklung investieren. Viele Unternehmen erleiden Angriffe. Privatleute werden deshalb Opfer, weil sie denken, sie bekämen alles kostenlos. Manchmal glaube ich, die Leute würden auch in ihr eigenes Grab springen, wenn das kostenlos wäre. 80 Prozent der Trojaner kommen von Pornoseiten und kostenlosen Streaming-Diensten. Wir haben es jeden Tag mit 300.000 neuen Viren und Trojanern zu tun. Also muss jeden Tag das Virenprogramm erneuert werden. Aber die Leute gucken lieber DSDS oder Bauer sucht Frau. Sie bezahlen 1.300 Euro für ihr Smartphone, aber keine 1,99 Euro für ein Antivirenprogramm. Ich verstehe das nicht. Die menschliche Faulheit gewinnt immer. Der Computer rechnet mit allem, aber nicht mit seinem Benutzer.

 

 

Die User sind zu naiv?

 

Cem Karakaya: Die Menschen haben die Geduld vergessen. Online-Banking ist heute zu 100 Prozent sicher, wenn ich die Zwei-Faktor-Authentisierung nutze. Dafür muss ich nur meine Karte in ein Gerät stecken und sieben Sekunden warten. Das ist absolut sicher. Früher hat man mit 56 KB-Modems stundenlang versucht, ins Netz zu kommen – heute hat kaum noch einer sieben Sekunden Zeit. Nicht die Technologie ist schuld, wenn Leute im Web betrogen werden, sondern ihre Faulheit und Gemütlichkeit. Die Menschen passen nicht auf, sie schalten nicht ab, sie arbeiten überall. Letztens hat eine Frau neben mir im Flieger ihren Namen, Vornamen und ihre E-Mail-Adresse in ihr Laptop getippt – mit diesen Informationen habe ich sofort ihren kompletten Mailaccount im Griff. Warum fühlen sich die Leute heute überall wie zu Hause? Früher haben wir die Tür der Telefonzelle zugemacht, damit uns keiner zuhört.

 

Viele argumentieren ja damit, dass sie schlicht nichts zu verbergen hätten …

 

Cem Karakaya: … wunderbar, dieses Argument: Dann gib sie mir, deine Kreditkartennummer und den Security Code! Die Menschen präsentieren den Kriminellen ihre Daten auf einem goldenen Tablett. Man denke nur an das Hotel-WLAN: Warum wollen Hotelgäste ein WLAN-Passwort? Heute haben doch alle eine Flatrate, warum also? Als Krimineller muss ich im Hotel die Geräte der Gäste gar nicht knacken, denn sie verbinden sich ja selber mit mir – ich brauche nur minimale Mittel und kann auf all ihre Geräte zugreifen, kann sehen und hören, was sie tun.

 

Apropos: Wie stehen Sie denn zu Smart Home-Lösungen?

 

Cem Karakaya: Dazu eine kleine Geschichte: Wir haben eine Leiche in einem Wohnzimmer. Neben ihr liegt eine Pistole. Die Polizei kommt rein, sieht überall Blutspuren und denkt: Der Täter hat das Opfer erschossen und anschließend weitflächig das Blut verteilt – was für ein Psychopath!

 

Aber nein: Heute macht sowas ein Robo-Staubsauger! Und weil die Heizung in dem Zimmer Web-gesteuert ist, können wir auch mit der Temperatur der Leiche nichts anfangen. Spaß beiseite: Ich nutze Smart Home dann, wenn mir die Anbieter garantieren, dass die Technologie 100 Prozent sicher ist. Das macht aber bis heute kein einziges Unternehmen.

 

Nun haben ja Digitalisierung und Big Data auch ihre Vorteile, man denke nur an die Behandlung von Krankheiten.

 

Cem Karakaya: Selbstverständlich hat Big Data seine Segnungen. Aber müssen wir wirklich alles digitalisieren? Und muss ich alles kostenlos bekommen? Dass ich News hin- und herschicken kann? Edward Snowden hat sich für uns geopfert – und was hat es gebracht? Manche Leute haben ihre Kameras abgeklebt. Dabei ist es viel interessanter mitzuhören. Und das ist ganz einfach. Wer allerdings auch sein Mikro abklebt, braucht kein Handy mehr, denn dann kann er nicht telefonieren. Facebook hat Daten missbraucht, Google+ Accounts wurden gehackt, es gibt immer neue Skandale – aber wie viele haben daraufhin ihr Passwort geändert? Kaum einer. Ich verstehe das nicht.

 

Gibt es ein Unternehmen, dem Sie vertrauen?

 

Cem Karakaya: Ich vertraue der Schufa. Gut, was die Schufa in 50 Jahren gesammelt hat, sammelt Google in zwei Stunden. Aber: Die Schufa hat als Erstes etwas gegen Identitätsdiebstahl getan: Sie bietet für rund fünf Euro im Monat einen regelmäßigen Bericht, wo meine Mail-Adressen aufgetaucht sind, auch im Darknet. Sie ist die erste Firma, die überhaupt so etwas macht, deshalb ist die Schufa für mich positiv.

 

Reicht unser Datenschutz nicht aus, um uns vor Cyberkriminalität zu bewahren?

 

Cem Karakaya: Datenschutz! Ich kann’s nicht mehr hören! Das ist alles übertrieben. Wir müssen die Leute erst mal lehren, mit ihren Daten umzugehen! Die Menschen mieten zum Beispiel Leihwagen und synchronisieren ihr Smartphone mit dem Navi – und reden dann über Datenschutz. Wir haben mal probeweise 13 Autos ausgeliehen und hatten auf einen Schlag 200 GB Datensätze. Oder schauen wir nur mal in die Schulen: Da drehen die Kinder munter Videos voneinander und stellen sie ins Internet, aber die Eltern wollen nicht, dass ihre Kinder in der Schülerzeitung auftauchen. Das ist verrückt. In jeder Schule Frankreichs sind Smartphones verboten. Kinder sollen in der Schule lernen und nicht im WLAN rumdaddeln. Die heutigen Eltern haben nicht gelernt, Medienkompetenz an ihre Kinder weiterzugeben. Ich gebe meiner achtjährigen Tochter ja auch nicht meinen Autoschlüssel und sage: „Fahr Du heute, Du schaffst das schon.“ Kinder und Jugendliche tun mir leid. Heute wird der Heuhaufen erstellt, in dem ich künftig die Nadel finde.

 

Sind Unternehmen böse, die Data Driven Marketing betreiben?

 

Cem Karakaya: Nein, die sind nicht böse. Sie bieten etwas und die Leute nehmen das an. Das ist das Geschäftsmodell. Die Menschen machen ja mit und unterschreiben die AGB. Die Naivität ist groß.

 

Was sollten denn Internetuser auf keinen Fall tun?

 

Cem Karakaya: Sie sollten nicht glauben, dass sie alles kostenlos bekommen, denn sie bezahlen mit sehr wertvollen persönlichen Daten. Außerdem sollten sie alle Updates immer sofort installieren und sparsam mit ihren Daten umgehen. Außerdem: Daten immer erst auf dem Computer verschlüsseln und dann in die Cloud geben. Und zu guter Letzt: ihr Gehirn einschalten. Wenn jemand glaubt, er könne im Internet eine Louis Vuitton- Tasche für 60 Euro kaufen, dann wird’s halt schwierig.

 

Und was wünschen Sie sich von Unternehmen?

 

Cem Karakaya: Mein größter Wunsch ist, dass sich Online-Shopping- Seiten um mehr Sicherheit kümmern und die Identität ihrer User besser schützen. Unternehmen müssen Sicherheitsthemen ernster nehmen – die Kunden werden das cool finden, denn sie müssen dann selbst weniger für ihre Sicherheit tun.

Text: Vera Hermes im Interview mit Cem Karakaya

 

 

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