von Professor Dr. Dr. Hermann Simon
„Die Vorstände wechseln im Durchschnitt so ungefähr alle drei Jahre. Wenn Sie da Ihren Posten behalten wollen und keine ausgesprochen starke Persönlichkeit sind, dann machen Sie unter dem immensen Druck eben irgendwelche Schweinereien.“
Diese Aussage stammt nicht von einem Funktionär der Linkspartei, sondern von Caspar von Hauenschild, Vorstand von Transparency International. Was er da sagt, mag populistisch sein und stimmt auch nicht ganz mit der Wahrheit überein. Aber es trifft das Gefühl der Menschen und ist nicht so weit von der Wahrheit entfernt. Tatsächlich liegt die jährliche Fluktuationsrate von Vorstandsvorsitzenden im deutschsprachigen Raum bei 19,7 Prozent, was einer durchschnittlichen Amtsdauer von 5,1 Jahren entspricht. Die Fluktuationsrate von Vorständen ist in Deutschland in den letzten drei Jahren massiv von 9,7 auf 19,7 Prozent gestiegen. Sie übertrifft auch den globalen Durchschnitt von 13,7 Prozent (= 7,3 Jahre Amtsdauer). International sind die Fluktuationsraten in den letzten Jahren hingegen sogar gesunken.
Überraschend hoch ist in Deutschland das Durchschnittsalter, in dem die Chefsessel bestiegen werden: knapp 51 Jahre. Addiert man dazu die gut fünf Jahre im Amt, dann ist mit knapp 57 schon wieder Schluss. Einige Tage bevor ich diese Zahlen zusammenstellte, saß ich mit drei älteren Herren beim Abendessen: Hans-Joachim Langmann (E. Merck), Berthold Leibinger (Trumpf) und Hans- Peter Stihl (Stihl). Sie standen 40, 41 beziehungsweise 43 Jahre an der Spitze ihrer Unternehmen. Von den Hidden Champions weiß ich, dass ihre Chefs im Schnitt 20 Jahre am Ruder bleiben. Sie kommen in wesentlich jüngerem Alter an die Spitze als ihre Kollegen in Großunternehmen. Dies gilt selbst für Vorstandsvorsitzende, die nicht Familienangehörige sind. Die Telekom hat in deutlich weniger als 20 Jahren bereits den sechsten Chef (Ricke senior, Pällmann, Sommer, Sihler, Ricke junior und nun Obermann). Das wird nur noch von der SPD übertroffen, die seit 1991 eine beachtliche Riege von neun Vorsitzenden aufweist (Engholm, Rau, Scharping, Lafontaine, Schröder, Müntefering, Platzeck, Beck, Gabriel). Jeder, der etwas von Unternehmensführung versteht, weiß, dass Führungskontinuität ein entscheidender Erfolgsfaktor ist. Jim Collins hat das bestätigt. Peter Drucker hat den Wert der Führungskontinuität vielfach wiederholt.
„Die Leute, die sich auf diese Ebenen durchboxen, sind sicher keine Chorknaben. Aber es darf auch nicht sein, dass Cleverness, pure Intelligenz und Raffinesse allein den Ausschlag geben.“
Umgekehrt sind kurze Verweildauern des Chefs ein sicherer Indikator dafür, dass es in den betroffenen Organisationen knirscht. Zwischen den drei oben genannten Beispielen der Mittelständler und den großen Aktiengesellschaften liegen diesbezüglich Welten. Was geht hier vor? Was sind die Ursachen? Welche Konsequenzen sind zu ziehen? Der Befund hierzu fällt gravierend aus. Betrachtet man für die DAX-Unternehmen die unfreiwilligen CEO-Rücktritte der letzten Jahre, so war in einem wesentlichen Anteil der Fälle unkorrektes Verhalten eine oder sogar die Hauptursache. Fast hat man den Eindruck, dass die mangelnden Fähigkeiten, die anstehenden Probleme zu lösen, erst an zweiter Stelle der Rücktrittsursachen stehen. Daraus kann man nur den Schluss ziehen, dass Eigenschaften wie Integrität, Ehrlichkeit und Anständigkeit bei der Auswahl unserer Top-Führungskräfte in der Vergangenheit zu kurz gekommen sind und in Zukunft ein höheres Gewicht erhalten müssen.
Die Leute, die sich auf diese Ebenen durchboxen, sind sicher keine Chorknaben. Aber es darf auch nicht sein, dass Cleverness, pure Intelligenz und Raffinesse allein den Ausschlag geben. Mich wundert schon, dass über Jahre toleriert wurde, dass der Vorstandsvorsitzende eines DAX-Unternehmens seine Wochenenden damit verbrachte, gefährliche Autorennen zu fahren, und sogar mit seinen Crashs protzte. Immerhin trug er Verantwortung für mehrere zehntausend Mitarbeiter.
Je höher ein Manager steigt, desto wichtiger wird seine Vorbildrolle, desto mehr ist auf seine Integrität Wert zu legen. Um auch das klar zu sagen: Gerade unter den DAX- CEOs gab und gibt es viele, denen ich – soweit ich das aus meiner persönlichen Kenntnis beurteilen kann – in dieser Hinsicht höchste Noten ausstelle. Nichts ist schwieriger als die Beurteilung der Eignung von Führungskräften. Kein einzelner Faktor bestimmt das Wohlergehen eines Unternehmens stärker als die Person an der Spitze. Deshalb muss die Entwicklung, Vorbereitung und Auswahl der Top-Elite unserer Wirtschaft mehr Aufmerksamkeit erhalten. Ethischen Kriterien muss bei dieser Selektion höheres Gewicht zugemessen werden. Wirtschaftlicher Erfolg, Macht und Auftreten allein dürfen nicht zählen.
Wenn einer krumme Sachen dreht oder in die eigene Tasche wirtschaftet, dann gehört er nicht auf den Chefposten. Der Corporate Governance Code allein wird dieses Problem nicht lösen. Viel wirksamer ist es, wenn die Gemeinschaft der Top-Führungskräfte und -Unternehmer untereinander strikter auf den „Code of Conduct“ achtet und schwarze Schafe frühzeitig „ausschwitzt“. Das ist die Sprache, die verstanden wird. Jeder, der dazugehört, weiß, wovon ich rede.
Prof. Dr. Dr. h. c. Hermann Simon ist Chairman der weltweit tätigen Unternehmensberatung Simon-Kucher & Partners. Simon ist Experte für Strategie, Marketing und Pricing. In seinem „ersten Leben“ lehrte Simon Betriebswirtschaftslehre und Marketing an den Universitäten Mainz und Bielefeld und als Gastprofessor unter anderem an der Harvard Business School in Stanford, an der London Business School, an der INSEAD, der Keio-Universität Tokio und dem Massachusetts Institute of Technology. Als Mitglied von zahlreichen Aufsichtsräten und Stiftungskuratorien sammelt Simon seit Jahren Erfahrungen in der Überwachung von Unternehmen. Seit 1988 schreibt er eine Kolumne im manager magazin, zu seinen in 24 Sprachen übersetzten über 30 Buchveröffentlichungen zählt der Weltbestseller „Hidden Champions“. Der hier abgedruckte Text ist ein Auszug aus dem 2011 im Campus Verlag erschienenen – und sehr lesenswerten – Buch „Die Wirtschaftstrends der Zukunft“. Wir danken Professor Simon und dem Verlag herzlich für die Abdruckgenehmigung. www.hermannsimon.com
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