Digital lernt’s sich leichter

2020-11-27T17:25:40+01:0014. September 2016|Tags: , , |

Eigentlich war alles ganz friedlich auf der sonnenbeschienenen Terrasse. Bis die aufgeregte Nachbarin in den Garten stürmte, um mit ihrem Missgeschick herauszuplatzen: Ihr war die Tür zugefallen, der Schlüssel drinnen, sie draußen. Was tun? Früher hätten wir den Schlüsseldienst gerufen, der – an einem Samstagnachmittag besonders teuer – nach Stunden gekommen wäre, um in Nullkommanix die Tür zu öffnen und anschließend eine gesalzene Rechnung zu schicken. Heute? Wird kurz das Laptop geholt, bei YouTube ein paar Schlagworte eingetippt und schwupps erscheint ein praktisches kleines Video, das zeigt, wie sich mit dem Röhrchen aus der Zewa- Rolle und einer Schnur das auf Kipp gestellte Fenster im Handumdrehen öffnen lässt.

Wie die Polizei das sieht, das sei einmal dahingestellt; die kleine Episode zeigt aber, wie situationsbedingtes Lernen heute funktioniert: schnell, kostenlos und per Web. Allein auf YouTube finden sich zu allen erdenklichen Sachgebieten Erklärfilmchen, es ist, wenn man so will, das größte Schulbuch der Welt. Ein großes Presseecho löste der Mathe-Lehrer Sebastian Schmidt von der Inge-Aicher-Scholl-Realschule in Neu-Ulm aus: Zusätzlich zum Unterricht erklärt Schmidt seinen Schülern zum Beispiel die Parallelen-Schar oder Geraden-Gleichungen in kurzen YouTube-Videos. Schmidts „Flipped-Mathe“-Videos sind locker, verständlich, bei den Schülern beliebt – und erfolgreich. Die Klasse von Schmidt war am Ende des Schuljahrs laut dem Schulleiter „signifikant besser“ als die Parallelklasse, die konventionell gelernt hatte.

Die Khan Academy geht die Wissensvermittlung gleich mal global an: Sie hat sich zur Aufgabe gemacht, jedem Menschen auf der Welt kostenlos per Web Inhalte, etwa über Naturwissenschaften, Computerprogrammierung oder Wirtschaft, beizubringen. Im Prinzip steht heute jeder Person mit Internetzugang unendlich viel Wissen zur Verfügung. Was eine gute Nachricht ist. Die noch bessere Nachricht: Der Lernende hat größere Chancen, die Inhalte zu verstehen. Inhalte eines gut gemachten Lehr-Videos sind deutlich einfacher zu rezipieren als geschriebener Text. Von der Khan Academy inspiriert, gab Sebastian Thrun, Professor für Künstliche Intelligenz an der Stanford University (und laut Website ehemaliger Google Fellow und Erfinder des selbstfahrenden Autos), vor Jahren den kostenlosen Web-Kurs „Einführung in die künstliche Intelligenz“.

 

vernetzt-magazin, ausgabe14, Alter?, LOL, artikel Digital lernt’s sich leichterLESETIPP: Wenn Sie mehr übers digitale Lernen wissen möchten, legen wir Ihnen wärmstens die Ausgabe 12/14 von GEO ans Herz. Die Titelgeschichte „Digital macht schlau!“ ist sehr interessant.

 

160.000 Teilnehmer aus 190 Ländern schrieben sich ein. Der Erfolg beflügelte Thrun, er gründete die Firma Udacity. Das Geschäftsmodell ist so einfach wie bestechend. Auf der Website heißt es: „Wir bauen im Silicon Valley eine Lern- und Weiterbildungsplattform auf:

  • die jene Fähigkeiten lehrt, die von Arbeitgebern der Branche heute benötigt werden
  • die Bescheinigungen liefert, die von den Arbeitgebern akzeptiert werden
  • und dabei die Bildung zu einem Bruchteil der Kosten der traditionellen Universitäten anbietet

Gemeinsam mit Unternehmen wie Google, AT&T, Facebook oder Salesforce biete Udacity „Nanodegree-Abschlüsse“ an, die so konzipiert seien, dass Fachkräfte zu Web-Entwicklern, Data Analysts, Mobile Developers oder Machine Learning Engineers würden. Bei der Vermittlung des Wissens macht sich Thrun die Vorteile von Bewegtbild, Web und Gaming zunutze. Gegenüber der ZEIT erklärte er: „Sehen Sie sich nur das Online-Spiel Angry Birds an, da lernt der Spieler etwas. Er wird ständig bewertet, kriegt die Ergebnisse sofort und bekommt neue Aufgaben, die exakt dem persönlichen Lernniveau entsprechen.

Wenn man diese Mechanismen auf die Vorlesung im Netz überträgt, hat man den Heiligen Gral der höheren Bildung gefunden.“ Für Unternehmen, die ihre Mitarbeiter à jour halten wollen, bieten Online-Wissensplattformen gleich mehrere Vorteile: Sie müssen Menschen nicht an einem Ort zusammentrommeln; jeder kann individuell und bedarfsorientiert lernen; es ist sichergestellt, dass alle dasselbe Wissen zur Verfügung gestellt bekommen; das Wissen ist permanent und überall verfügbar. Viele Konzerne setzen bereits auf E-Learning: Die Lernprogramme von Mercedes-Benz Global Training für Verkäufer, Service-Techniker und Automobiltechnik-Interessierte umfassen zum Beispiel mehr als 60 Module in 13 Sprachen. Es ist wiederum ein Online-Spiel, das für Wissenserwerb und Weiterbildung eine neue Stufe zünden könnte: Setzen sich mit Pokémon Go Augmented Reality-Anwendungen bei den Konsumenten durch, dürften sie in kürzester Zeit auch in der Know-how-Vermittlung Einzug halten. Das sogenannte Gaming ist bei Lernexperten ohnehin schon rehabilitiert. Lange Zeit war das Spielen im Web als Freizeitbeschäftigung für freund- und freudlose Nerds mit Aggressionspotenzial verschrien. Inzwischen stellen Serious-Games-Anbieter sogar auf der Bildungsmesse Didacta aus. Die Erkenntnis hat sich durchgesetzt, dass es sich spielerisch gut lernen lässt.

KLEINER TIPP FÜR IHRE ELTERN ODER GROSSELTERN: Smartphone-Schulung mit 94

Sie erklären WhatsApp, Google Earth und die Bahn-App, sie erläutern, wie man mailt, twittert, postet, fotografiert oder einfach nur surft. Sie definieren Mäuse und Tastaturen, Browser, Router, WLAN, Neustart – und wann man wem seine Daten besser nicht gibt. All die Ehrenamtlichen und kooperierenden Netzwerke des gemeinnützigen Vereins Wege aus der Einsamkeit (WADE) in Hamburg haben ein Ziel: alten Leuten die virtuelle Welt zu eröffnen und ihnen den Gebrauch von Web, App & Co nahezubringen.

„Wir versilbern das Netz“http://www.wegeausdereinsamkeit.de

Das schöne Motto: „Wir versilbern das Netz. Das 1×1 der Smartphones und Tablets“. Die Seminare dauern drei Stunden, sie sind kostenlos, Geräte werden bei Bedarf gestellt. Teilnahmevoraussetzung: ein Alter von mindestens 65 Jahren. Damit das Wissen auch angewandt wird, gibt es sogenannte Versilberer Cafés, in denen sich Menschen 65+ mit ihren Tablets und Smartphones treffen, um sich über Nutzung, Funktionen und hilfreiche Apps auszutauschen. „Wir holen Sie aus der Online-Welt in die Offline-Welt und Sie helfen sich im Alter beim Umgang mit der neuen Technik untereinander“, wirbt WADE für die Cafés.

Der Erfolg ist sensationell: Gut tausend Senioren haben den vor knapp zwei Jahren gestarteten Kurs bislang besucht. „Der bisher älteste Teilnehmer war 94 Jahre alt“, berichtet WADE-Mitgründerin und -Vorsitzende Dagmar Hirche. „Selbst Firmen fragen an, ob wir dies für ihre „Rentner“ anbieten können“, freut sich die 59-Jährige. Die Aktivitäten des 2007 gegründeten Vereins fallen generell auf extrem fruchtbaren Boden und reichen vom wohl ersten deutschen Senioren- Flashmob am Hamburger Hauptbahnhof (zu sehen auf YouTube) über Social Media-Aktivitäten bis hin zum Senioren-Speed Dating. Dafür hagelte es zahlreiche Auszeichnungen – unter anderem den von der Stiftung Digitale Chancen und Facebook verliehenen Smart Hero Award. Dagmar Hirche war im April 2016 auf Einladung des Auswärtigen Amtes in Taiwan – eine ebenfalls stark alternde Gesellschaft –, um die Projekte von WADE vorzustellen und taiwanesische Initiativen kennenzulernen. Respekt!

 

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