Es geht mehr und mehr um ein erfolgreiches Miteinander

2020-11-27T17:45:20+01:0018. Februar 2014|Tags: , , , |

Oliver Knapp, Partner von Roland Berger Strategy Consultants im Kompetenzzentrum Operations Strategy in Stuttgart, über die Veränderung in der Beziehung von Zulieferern und Herstellern, über Abhängigkeiten und ein neues Sicherheitsbedürfnis, über das Gebot der Fairness auf allen Seiten und die Luft zum Atmen.

In den 90er Jahren zog Jose Ignacio López de Arriortua, im Volksmund auch „Würger von Wolfsburg“ genannt, zunächst für General Motors, dann für VW gewaltig die Kostenschraube an und brachte damit etliche Zulieferer in die Bredouille. Gut 15 Jahre später, im Krisenjahr 2008, griffen Automobilhersteller hierzulande ihren Zulieferern unter anderem mit verkürzten Zahlungszielen unter die Arme. VW gewährte manchem gar Vorauskasse. Was ist geschehen? Wie und warum hat sich die Beziehung zwischen Zulieferern und Auftraggebern verändert?

Oliver Knapp: Was für die Automobilbranche gilt, gilt in vielen Facetten auch für andere Branchen: Es hat im Laufe der Zeit ein Umdenken gegeben – weg von den Kosten. Einst galt: Der Hersteller ist der Starke und die Zulieferer sind die Abhängigen. Das hat sich vor allem wegen der Globalisierung und der Vernetzung der Wertschöpfungskette evolutionär gewandelt. Die Abhängigkeiten haben sich verändert.

Wie?

Oliver Knapp: Ein Automobilhersteller kann heute selbst auf einen kleinen Zulieferer stark angewiesen sein. Tauchen bei einem Zulieferer zum Beispiel Lieferengpässe auf, steht unter Umständen das Band beim Hersteller still. Je stärker die Produktion eines Herstellers automatisiert und vernetzt ist, desto stärker kann sich das auswirken. So laufen beispielsweise auch bei großen Pharmaproduzenten die Prozesse im 24/7-Rhythmus – da hat es verheerende Folgen, wenn die Produktion unterbrochen werden muss, weil ein Rohstoff oder ein Teil fehlt. Gleiches gilt, wenn ein Automobilhersteller Millionen identischer Bauteile verwendet und diese fehlerhaft sind. Dann drohen Rückrufaktionen mit entsprechenden Imageschäden. Die Unternehmen brauchen also in mehrfacher Hinsicht Sicherheit. Dadurch hat sich die Wahrnehmung geändert: weg vom Extrem der reinen Kostenbetrachtung hin zu einem Bewusstsein für die wechselseitige Abhängigkeit. Es gibt zwar immer noch Lieferanten, die in einem einseitigen Abhängigkeitsverhältnis stehen; andere können aber durchaus auf Augenhöhe mit den Herstellern agieren. Das liegt einerseits an der generell stärkeren Vernetzung der Wertschöpfungskette, andererseits an dem Mehrwert, den viele Zulieferer ihren Abnehmern heute bieten.


„Die Wahrnehmung hat sich geändert: weg vom Extrem der reinen Kostenbetrachtung hinzueinem Bewusstsein für die wechselseitige Abhängigkeit.“

Oliver Knapp, Roland Berger Strategy Consultants


Wenn wir von der eigenen Leistung der Zulieferer sprechen: Wie wichtig ist Ihrer Erfahrung nach deren Innovationsfähigkeit für eine Partnerschaft auf Augenhöhe?

Oliver Knapp: Sicher kann ein Lieferant sich mit Innovationsfähigkeit aus einer zu starken Abhängigkeit befreien. Das funktioniert aber auch mittels hoher Flexibilität, Qualität, Zuverlässigkeit oder Termintreue. Denn den Herstellern ist vor allem wichtig, dass der Zulieferer seinen Beitrag zur Lieferkette im Griff hat. Zum Beispiel hatten Automobilhersteller früher Lager, in denen die nötigen Teile für zwei Produktionswochen vorgehalten wurden. Heute, in Zeiten stark vernetzter Produktionsprozesse, gibt es vielfach nur einen Puffer von wenigen Stunden. Das heißt: Termintreue und Zuverlässigkeit sind essenziell für die Sicherheit der Lieferkette und damit für Zulieferer wichtige Argumente, um sich aus der Kostenfalle befreien und mit ihrem Auftraggeber auf Augenhöhe agieren zu können. Nun ist die Qualität allgemein hoch, Produkte und Services werden immer homogener, Zulieferer oder Dienstleister sind somit zunehmend austauschbar.

Was können sie tun, um einen Kunden langfristig zu halten?

Oliver Knapp: Neben den genannten harten Kriterien wie Qualität und Termintreue gibt es weiche Faktoren wie Vertrauen oder Verlässlichkeit, mit denen Zulieferer für eine stabile Beziehung zum Abnehmer ihrer Produkte sorgen können. Eine Partnerschaft ist nicht nur aus Zulieferersicht zu betrachten, sondern auch aus Herstellersicht. Zwar sitzt der Hersteller am längeren Hebel, schließlich muss der Zulieferer verkaufen – das Gleichgewicht wird also nie hundertprozentig gegeben sein. Dennoch müssen sich beide Seiten aufeinander verlassen können; das gilt natürlich umso mehr, je größer die Abhängigkeit ist. Beide Seiten müssen Zusagen einhalten und fair handeln. Den Zulieferern spielt in die Hände, dass sich die Hersteller auf Kernkompetenzen besinnen und Outsourcing betreiben. Natürlich versuchen Hersteller dabei, maximale Freiräume für sich zu schaffen, während der Zulieferer seinerseits versucht, seine Austauschbarkeit zu reduzieren. Das ist ein ewiges Spiel. Allerdings ist die wechselseitige Abhängigkeit immer größer und komplexer geworden. Es geht mehr und mehr um ein erfolgreiches Miteinander, nicht um ein Gegeneinander.


„Es geht mehr und mehr um ein erfolgreiches Miteinander“ Je verwobener das Geschäft, desto partnerschaftlicher die Beziehung.


Welche Voraussetzungen müssen denn insbesondere auf Herstellerseite gegeben sein, damit die Beziehung gut läuft?

Oliver Knapp: Der Hersteller muss dem Zulieferer Luft zum Atmen lassen. Wenn er den Kostendruck überreizt, würgt er Innovationen ab. Zudem müssen Hersteller bereit sein, Prozesse und Systeme zu vernetzen. Und auch für Hersteller gelten die weichen Faktoren: Sie müssen fair sein und Zusagen einhalten. Insbesondere, wenn sie nicht pünktlich zahlen, wird es für die Zulieferer gefährlich, weil die meist in Vorleistung treten. Da kann ein einzelner Einkäufer viel kaputt machen, weshalb die Beurteilung der Einkäufer nicht nur an der erzielten Kostenersparnis, sondern auch am qualitativen KPI (Key Performance Indicator) ausgerichtet sein sollte. Eine Möglichkeit ist das japanische Keiretsu-System: Es stellt langfristige Beziehungen durch finanzielle Beteiligung her. Auch bei uns steigt die Zahl der Joint Ventures, um in Zeiten zunehmender Dynamik und Komplexität Partnerschaften zu vertiefen.

Welche Auswirkungen hat die Globalisierung konkret auf die Lieferanten-Hersteller-Beziehung?

Oliver Knapp: Sowohl Hersteller als auch Zulieferer müssen im globalen Wettbewerb schlagfähig bleiben. Bildlich gesprochen müssen beide schneller rudern und es ist anstrengender geworden, Geschäfte zu machen, weil der Wettbewerb nun härter ist.

Gibt es Wettbewerbsvorteile, die deutsche Zulieferer ausspielen können?

Oliver Knapp: In vielen Branchen sind deutsche Mittelstandsunternehmen als Zulieferer führend, was Innovation und Qualität angeht. Zudem haben sie einen geografischen Vorteil, wenn die Produktion in Deutschland oder in angrenzenden Ländern angesiedelt ist. Einige Hersteller haben bereits ihre Produktion aus Schwellenländern zurückgeholt: Dort waren zwar die Produktionskosten niedriger, dafür gab es aber teilweise Probleme in der Wertschöpfungskette oder Qualitätsmängel. Deutsche Zulieferer bieten Herstellern zudem häufig Vorteile bei der prozessualen und technischen Vernetzung mit ihrer Wertschöpfungskette. Und: Je nachdem, welche Dienstleistung oder welches Produkt gefragt ist, bieten sie oft auch den Vorteil einer motivierten und hochqualifizierten Belegschaft.

Oliver Knapp ist Partner von Roland Berger Strategy Consultants im Kompetenzzentrum Operations Strategy in Stuttgart. Der Wirtschaftsingenieur mit zusätzlichem MBA-Studium kümmert sich insbesondere um Projekte rund um Produkt- und Kostenmanagement, Produkt- und Marktstrategien sowie funktionale Strategien, wie etwa strategische Beschaffung und Transformationsprojekte. Knapp ist seit 13 Jahren bei Roland Berger tätig und mittlerweile in vielen Branchen zuhause, unter anderem in der Automobilindustrie, Engineered Products/High Tech, Pharma und in der Konsumgüterbranche. Neben Großunternehmen berät er vor allem deutsche Mittelstandsfirmen.

Das Interview führte Vera Hermes

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