In den vergangenen Jahren hat sich die Call Center-Branche immer wieder stark gewandelt – nicht nur die Art der Dienstleistung wird immer komplexer und spezialisierter, auch der Kunde selbst ist längst ein anderer geworden in der schönen, neuen, digitalen Kommunikationswelt. Alles scheint heute anders. Doch nur scheinbar. Denn im Grunde haben sich die Anforderungen an den Call Center-Markt und deren Dienstleister nicht verändert. Der Kunde hat ein Anliegen, das er gelöst bekommen möchte, und dies kompetent und schnell. Die Vielzahl der neuen Kommunikationswege ist hier die große Herausforderung für den Call Center-Markt. Denn die diversen Kanäle müssen auch professionell gesteuert werden, ohne den wachsenden Kostendruck aus den Augen zu verlieren!
Der Customer Care-Markt insgesamt wird sich unter den immer noch steigenden Anforderungen wohl weiter konsolidieren müssen. Die großen Player am Markt werden sich genauso halten wie auch die stark spezialisierten Anbieter, die sich durch eine hohe Fachkompetenz in der entsprechenden Branche auszeichnen. Der technische Wandel setzt der Customer Care-Branche zudem zu: Die Kunden suchen sich heute aus, wie sie mit den Unternehmen in Kontakt treten möchten, und die Unternehmen müssen in der Lage sein, auf allen Kanälen die Anfragen ihrer Kunden zu beantworten – sei es über den Klassiker Telefon, per E-Mail oder Chat, über Social Media-Kanäle wie Facebook und Twitter oder Messenger-Dienste wie WhatsApp. Dabei ändert sich die Qualität der Kundenanfragen: Die Kunden finden für einfache Anliegen selbst Lösungen im Internet, erst bei komplexeren Problemen kontaktieren sie die Customer Care-Center. Das erhöht auch die Anforderungen an die Mitarbeiter. Schon jetzt kämpfen Call Center-Dienstleister damit, qualifizierte Mitarbeiter zu finden. Das wird auch in Zukunft ein sensibles Thema sein. Die Unternehmen werden nicht umhinkommen, die Themen Weiterbildung und Qualifizierung intern anzuschieben, um den Bedarf an Mitarbeitern zu decken und sie langfristig an das Unternehmen zu binden.
Bei den Top-10-Playern am Schweizer Outsourcing-Markt blieb in den letzten sechs Monaten kein Stein auf dem anderen: Große internationale BPO-Anbieter wie Capita oder Webhelp schnupfen die profitablen größeren und mittelständischen Dienstleister und sichern sich damit gute Positionen in der DACH-Region, Europas größter Sprachregion.
Aber auch von innen her kocht und brodelt es: Das Jahr 2015 war von Zusammenschlüssen und wilden Fusionen geprägt. Was hat das zu bedeuten?
1. Trotz aller Nearshore- und Offshore-Optionen bleibt der Customer Service zumindest teilweise im Land. Zur Party geladen sind spezialisierte Dienstleister mit Wertschöpfungstiefe und Kundennähe.
2. Digitalisierung und E-Commerce ermöglichen neue Geschäftsmodelle und Business-Opportunities, welche der Branche zu (unerwartetem) Rückenwind verhelfen.
Und 3. haben auch die Auftraggeber erkannt, dass eine partnerschaftliche Haltung in Bezug auf faire Bezahlung, intensive Betreuung und Karriereoptionen stärker zum Erfolg beitragen als der leidige Mitarbeiter und Kunden vergraulende Spar- und Performance-Groove der letzten Jahre.
Es steht außer Frage, dass der deutsche Call Center-Markt aktuell so stark in Bewegung ist wie schon lange nicht mehr. Die Einführung des Mindestlohns und die Debatte zur Sonntagsöffnung sind am Ende des Tages nur Randthemen. Die relevanten CEOs beschäftigen sich fast ausschließlich damit, wie sie ihr Unternehmen für die Zukunft aufstellen sollen – beziehungsweise vielmehr müssen –, damit es das Unternehmen und/oder ihren Job in zwei Jahren noch gibt.
Eine Strategie ist schnell gezirkelt. Das Umsetzen ist schon schwieriger, und die Zeit bleibt auch nicht stehen. Und wir wissen: Ohne Geschwindigkeit hat die Strategie keine Schlagkraft. Hier ist vereinzelt eine gewisse Nervosität bei dem einen oder anderen zu erkennen. Kein Wunder, denn gefühlt wird alle zwei Monate ein CEO ausgetauscht. Dazu kommt, dass neue, internationale und vor allem kapitalstarke Unternehmen große Einheiten übernehmen. Fast könnte man den Eindruck gewinnen, dass es wieder Geld im Überfluss am Markt gibt. Und wie heißt es doch so schön: Wer das Geld hat, macht die Regeln. Aktuell stellt sich die Frage, wer Jäger, wer Gejagter und wer zum Abschuss freigegeben ist.
Kurzfristig ist sicherlich die Regulierung des Arbeitsmarktes der wichtigste Antrieb für Veränderungen im Customer Care-Bereich. Die Einführung des Mindestlohns hat zu einer veränderten Sicht auf die Standortwahl innerhalb Deutschlands geführt, und die wieder aufgeflammte Diskussion um die Sonntagsarbeit wird ebenfalls Wirkung zeigen, wahrscheinlich über die Grenzen Deutschlands hinaus.
Mittelfristig, also in drei bis fünf Jahren, sehe ich die Veränderungen im Kommunikationsverhalten als wichtigsten Einflussfaktor. Der deutsche Customer Care-Bereich hat Nachholbedarf in der zentralen Kommunikationsform der Zukunft, dem Messaging. WhatsApp, Line, WeChat und der Facebook Messenger sind weltweit die mit Abstand wichtigsten Kommunikationskanäle im C-to-C-Bereich geworden. In den USA, Japan, China und Südamerika werden diese Plattformen nun auch in der Kommunikation zwischen Unternehmen und Kunden genutzt – das wird auch in Deutschland zunehmen. Hinzu kommt die weitgehende Integration von Customer Care-Funktionen in Self Service-Apps auf mobilen Endgeräten. Apps der Lufthansa oder der Deutschen Bahn zeigen, wohin die Reise auch für Contact Center geht: Sie werden zum Menüpunkt.
Langfristig kommt aus dieser Richtung auch die wichtigste Veränderung überhaupt: die Komplettintegration der Customer Care-Funktionen in die heute so oft zitierte Customer Journey. Der Kunde wird dann kontinuierlich von einer Kombination aus virtuellem Agenten, basierend auf einer Dialog-Engine à la SIRI, und einem persönlichen Berater für die schwierigen Fragen betreut. Contact Center müssen sich auf diesen Wandel im Kommunikationsverhalten und auf die umfassende Prozessintegration einstellen, wenn sie relevant bleiben wollen.
Die Rolle und die Bedeutung von Customer Care für den Unternehmenserfolg ändern sich gerade dramatisch. Das heißt, eigentlich ändern sie sich gar nicht. Vielmehr werden Rolle und Bedeutung von Customer Care endlich erkannt. Mit einfachen Worten: Ohne exzellente Qualität im Customer Care ist alles nichts. Wenn Service & Support nichts taugen, wenn Kunden und Noch-nicht-Kunden nicht ernst genommen werden und unter schlechten Prozessen leiden, kann kein Unternehmen auf Dauer erfolgreich sein. Exzellenter Customer Care, der mehr ist als ein Servicelevel von 80 Prozent, ist heute ein integraler Bestandteil jeder Unternehmensstrategie und essenzielles Element der Markenführung. Ohne hohe Servicequalität auf der Website, im Call Center, bei Facebook und auf Twitter braucht man von 360-Grad-Sicht und Customer Experience nicht zu sprechen. Was heißt das für die Customer-Care-Branche? Erfolgreich werden die sein, denen es gelingt, ihre Auftraggeber eng dabei zu begleiten, Kundenorientierung mit Leben zu füllen. Denn das heißt dann auch, dass Customer Care nicht als Kostenfaktor, sondern als Investition in die Marke begriffen wird. Also: ein Ende des Feilschens um jeden Cent.
Nach zwei Jahren gefühlter Stagnation habe ich im Jahr 2015 wieder eine gestiegene Investitionsbereitschaft im Customer Care-Markt festgestellt. Natürlich haben viele Unternehmen auch in den vergangenen beiden Jahren besonders intern an der Entwicklung ihrer Customer Care-Struktur gearbeitet. Für den Dienstleistermarkt empfand ich die Nachfrage nach qualitativ anspruchsvollen und zukunftsorientierten Aufgaben – was das beauftragte Gesamtvolumen betrifft – eher gering. So beobachte ich derzeit folgende Entwicklungen:
1. Etliche große Outsourcer tun sich noch immer schwer, sich bei den innovativen Themen glaubhaft zu positionieren. Das Massengeschäft ist noch immer preisgetrieben, und gerade hier werden mittlerweile die Aufgaben nach draußen verlagert, bei denen man hinsichtlich Nutzergruppe und/oder Nutzungsmodell mittelfristig keine Relevanz sieht.
2. Mir fehlen in der Breite noch immer die intelligenten Ansätze, den Service zum Ertrag bringenden Produkt zu entwickeln.
3. Der deutsche Markt ist für internationale Investoren weiterhin interessant. Allerdings relativiert sich das Interesse, wenn die wirtschaftlichen Margen ins Gespräch kommen. Hier bleiben meist nur noch die im Fokus, die für zukunfts- und margenträchtige Branchen tätig sind. Oft sind diese jedoch als einzelne zu klein für Investoren.
4. Dennoch ist Größe allein kein Garant für attraktive Aufträge, wenn nicht Flexibilität und echte Kompetenz dazukommen. Und da wird das Personal zum weiteren Engpass. Aus der Generation Y (und teilweise schon X) wird man mit bestehenden Arbeits- und Führungsmodellen künftig nicht die Mitarbeiter gewinnen, die man bräuchte, um eine Weiterentwicklung zu gewährleisten.
5. Der mittelgroße Mittelstand (Auftraggeber und Dienstleister) scheint mir derzeit innovativer, kreativer und schneller, was die Umsetzung von Customer Experience-Entwicklungen angeht. Die Großunternehmen stehen sich häufig intern durch ihre vielen beteiligten Stellen mehr im Weg, als dass es kontinuierlich und im Zusammenspiel der Abteilungen vorangeht.
6. Derzeit profitiert die Masse der Unternehmen noch davon, dass die Mehrzahl der Verbraucher ihr Verhalten nur allmählich verändert und noch nicht voll in der Nutzung der neuen Möglichkeiten angekommen ist – und davon, dass der Mitbewerb häufig keine Alternative bietet. Dies wird sich rapide verändern, je mehr funktionierende und attraktive Angebote in den Markt kommen. Die kommenden drei Jahre sehe ich noch vergleichbar mit den vergangenen. Der ein oder andere findet möglicherweise seinen Investor, auch ein Zusammenschluss ist nicht ausgeschlossen, ebenso wenig eine Insolvenz.
Die Dienstleister-Branche muss dringend Antworten finden, um den neuen Anforderungen gerecht zu werden. Wir müssen qualifizierte und gut ausgebildete Menschen für komplexe Aufgaben im Kundenservice begeistern. Nach wie vor kämpft die Branche mit hoher Fluktuation, hohen Kranken- beziehungsweise Abwesenheitsquoten und einem mittlerweile bedrohlichen Rekrutierungsproblem. Im Markt gibt es jede Menge Volumen. Für die Auftraggeber wird es immer schwieriger, dieses Volumen bei Dienstleistern zu platzieren. Es fehlen schlicht und einfach die Mitarbeiter/innen. Trotzdem bleibt augenscheinlich alles, wie es immer schon war: vollkommen verfehlte Rekrutierungsprozesse, hilflose Versuche, die Kranken- beziehungsweise Abwesenheitsquote zu reduzieren, eine nach wie vor schlechte Bezahlung und daraus resultierend hohe Fluktuationsquoten.
Neue Wege? Fehlanzeige! Da werden in elend langen Meetings hochtrabende Projekte zur Verbesserung der Situation besprochen, verfehlte Maßnahmen neu etikettiert und danach PowerPoint und Excel bemüht. Kaum jemand kommt auf die Idee, im direkten Dialog bei den Mitarbeitern/innen zu fragen, was die Ursachen für Abwesenheit, wenig Lust auf den Job und daraus folgende Fluktuation ist. Vielmehr werden hilflose Maßnahmen wie Obsttage, Impfangebote und Hüpf-Sessions angeboten. In teilweise unqualifizierten „Krankenrückkehrgesprächen“ werden die Ursachen nur selten mit ehrlichem Interesse erfragt und besprochen.
Es muss sich also sehr viel ändern. Wir müssen endlich akzeptieren, dass Customer Care ein Beruf mit gestiegenen und mittlerweile hohen Anforderungen ist. Wie kann es sein, dass mir ein Mitarbeiter mal gesagt hat: „Bei der Leergutannahme im Supermarkt verdiene ich deutlich mehr, ohne Schichten, ohne Cross- und Upselling-Vorgaben und ohne ständig Gefahr zu laufen, irgendeines der ständig neuen und sich verändernden Ziele nicht 100%ig zu erreichen?“
Ich bin überzeugt, dass nur gewinnen kann, wer die angesprochenen Themen verstanden hat und lösen wird – auch in Zusammenarbeit mit Auftraggebern. Dort wächst die Einsicht, dass ein „weiter wie bisher“ uns alle ganz und gar nicht weiterbringt. Am Ende kostet das Durchschleusen von Hunderten oder gar Tausenden Mitarbeitern/innen pro Jahr deutlich mehr, als ihnen einen ordentlichen Job mit ordentlicher Bezahlung anzubieten.
Der Customer Care-Markt von heute hat einen langen Weg der Evolution hinter sich. Maßgeblich für die Veränderung ist, dass Customer Care zu einem integralen Bestandteil des Kundenmanagements und der Kundenbeziehung geworden ist. Das hat weitreichende Konsequenzen: Die Wertigkeit des persönlichen Kundengesprächs ist deutlich gestiegen und führt gleichermaßen zu einem Anstieg der Qualifikationsanforderungen an die Mitarbeiter. Neben der Telefonie müssen diese heute die gesamte Klaviatur der Instrumente des Kundendialogs beherrschen, deutlich intensiver und professioneller beraten und äußerst versiert im Umgang mit personenbezogenen Daten sein. Diese Notwendigkeit wird das Profilbild der Mitarbeiter- Innen deutlich verändern.
Doch die Herausforderungen gehen noch weiter. Auftraggeber müssen sich den Veränderungen stellen und dem veränderten Wert der Kommunikation deutlich mehr Rechnung tragen. Die Abkehr von der „Quantität statt Qualität“-Mentalität führt zu einer Bereinigung des Anbietermarktes: weg von der billig getriebenen ausschließlich abverkaufsorientierten Massenkommunikation hin zu sehr spezialisierten Unternehmen, die in Zukunft mehr denn je den persönlichen Dialog mit dem Kunden führen werden und dabei mit professionellem Fachwissen und allen Instrumenten der Kommunikation zu überzeugen wissen. Genau in dieser systematischen, klugen Kontaktaufnahme liegt die große Chance für den Mittelstand der Branche. Aktuelle Zahlen belegen, dass die Zeiten des Telefonmarketings als einfaches Sales-Instrument vorbei sind. Doch genau dieses belegt die Konsolidierung für den spezialisierten und qualitativ hochwertigen Einsatz auf dem Markt für erklärungsbedürftige Produkte, der heute größer denn je ist.
Die Beteiligung internationaler Player am deutschen Markt tut dieser Entwicklung keinen Abbruch. Die Zeiten, in denen Investoren das schnelle Geld vermuteten, sind längst vorbei. Das Platzen der Investitionsblase hat aus Fehlern zu den Anfangszeiten des Call Center-Marktes lernen lassen. Heute ist es klug, in mittel- bis langfristige Strategien zu investieren, die die Qualität der Dienstleistung in den Fokus rücken. Diese Entwicklung der stetigen Professionalisierung der Kommunikation auch in der digitalen Welt ist ein großer Consumer Nutzen.
Diesen Beitrag teilen
