Freut euch – es gibt Arbeit!

Keine Frage: Der Wandel unserer Arbeitswelt ist in vollem Gange. Vor noch nicht allzu langer Zeit fand Arbeit für Wissensarbeiter im Büro statt und dauerte in der Regel fünf Tage die Woche von 9 Uhr bis 18 Uhr. Inklusive einer pünktlich stattfindenden Mittagspause. In dem Moment, in dem die Bürotür hinter einem zuschlug, war Feierabend. Diese Form des Arbeitens ist angesichts der Digitalisierung und Globalisierung, des Wertewandels und der demografischen Entwicklung schlicht perdu.

Heute ist in Zusammenhang mit dem Thema Arbeit von Coworking und Kollaborativem Arbeiten die Rede; Innovationen werden mittlerweile nicht mehr in der F&E- Abteilung, sondern auch auf sogenannten Hackathons (auf gut Deutsch und in aller Kürze: Entwicklertreffen), in Inkubatoren und Hubs, Home Offices oder vom Starbucks- Tresen aus entwickelt. Online- Outsourcingplattformen wie Odesk, Elance oder Twago, die Freelancer und Selbstständige vermitteln, machen gute Geschäfte. Und ein Unternehmen wie Regus, Anbieter mobiler Arbeitsplatzlösungen, tut sich mit Shell zusammen und richtet in und um Berlin an 70 Tankstellen mobile Arbeitsplätze ein.

Der Nine to five-Job ist für eine zwar noch kleine, aber stetig wachsende urbane Wissensarbeiterelite bereits Geschichte. Dank des mobilen Internets tragen sie ihr Büro bei sich, sind von nahezu jedem Winkel dieser Welt aus erreichbar und somit nicht nur always on, sondern auch allzeit bereit. „Endgeräte wie Ultrabooks, Tablet Computer und Smartphones in Verbindung mit mobilen Breitbandnetzen und Cloud Computing ermöglichen es, an nahezu jedem Ort zu arbeiten und dabei mit anderen in Kontakt zu sein. Feste Arbeitszeiten und feste Arbeitsplätze haben sich damit für viele typische Büro- Jobs eigentlich erledigt“, bilanzierte Prof. Dieter Kempf, Präsident des Bundesverbandes Informationswirtschaft, Telekommunikation und neue Medien (BITKOM) anlässlich der Vorstellung der Studie „Arbeit in der digitalen Welt“.

Laut dieser Studie hat ein Neudenken der Arbeitsorganisation mittlerweile in vielen Unternehmen Einzug erhalten: 55 Prozent der Beschäftigten, die mobile Geräte nutzen, arbeiten demnach zumindest gelegentlich von unterwegs aus, zum Beispiel in Bahn, Bus, Flugzeug oder Hotel. Ein Drittel der Befragten bleibt regelmäßig im Home Office, jeder Fünfte sogar täglich. Es liegt auf der Hand, dass diese Entwicklung einige Konsequenzen für unser Arbeitsleben hat: Die einen sorgen sich, dass die Wissensarbeiter schon aufgrund der permanenten Erreichbarkeit zur Selbstausbeutung neigen und ihre Work-Life-Balance aus dem Gleichgewicht gerät. Die anderen machen sich Gedanken darüber, wie die Kommunikation der Kollegen untereinander funktioniert, wenn jeder für sich arbeitet. Oder wie die Leistung der Mitarbeiter kontrolliert und gemessen werden soll. Oder wie eine gute Führung funktioniert, wenn man seltener gemeinsam arbeitet.

Stefan Rief 5 Regeln für Arbeitgeber

  • Klare Vereinbarungen treffen. Flexible Arbeitsmodelle erfordern klare Regeln, damit Vertrauen entstehen kann.
  • Mitarbeiterleistung messen. Leistungen sollten möglichst objektiv definiert und gemessen werden.
  • Zielerreichung geht vor Anwesenheit. Moderne Technologien für Zusammenarbeit nutzen Flexible Arbeit sollte durch interne soziale Netzwerke, Blogs oder spezielle Collaboration Tools unterstützt werden.
  • Führung nicht vernachlässigen. Trotz hoher Mobilität der Mitarbeiter darf Führung nicht vernachlässigt werden.
  • Unternehmenskultur überprüfen. Neue Arbeitsmodelle müssen zur Kultur passen. Veränderungen sorgfältig planen.

Quelle: Bitkom, Studie: Arbeiten in der digitalen Welt, April 2013

Fest steht: Noch gibt es in den wenigsten Unternehmen eingespielte Regeln für flexible Arbeitsmodelle. Fest steht aber auch: Nach vielen Jahren, in denen Unternehmen von ihren Mitarbeitern eine immer höhere Flexibilität forderten, drehen jetzt die Mitarbeiter den Spieß um und fordern ihrerseits mehr Flexibilität – und Freiheit – von ihren Arbeitgebern. Das hat einerseits sicher mit der vielzitierten Generation Y zu tun. Wobei – das soll hier gleich mal gesagt werden – diese Generation Y in gewisser Hinsicht eine Schimäre ist: Es lassen sich nicht alle, die Ende der 70er, Anfang der 80er Jahre geboren wurden, über einen Kamm scheren. Ist von der Generation Y die Rede, sind die hochqualifizierten, anspruchsvollen Eliten gemeint. Von ihnen abgesehen sind aber andererseits auch die älteren Mitarbeiter heute anspruchsvoller als früher. Der Wunsch, freier zu arbeiten, ist keine Frage des Alters, sondern eine Frage der Einstellung, sind sich Experten einig.

„Im Prinzip können wir uns auf die neue Arbeitswelt freuen, und zwar beide, die Firmen und die Mitarbeiter, denn Arbeiten wird inspirierender“, sagt Stefan Rief. Und der Mann hat sich wirklich detailliert mit dem Thema auseinandergesetzt: Stefan Rief leitet das Competence Center Workspace Innovation im Fraunhofer-Institut Arbeitswirtschaft und Organisation in Stutt- gart und ist Mitautor der Studie „Arbeitswelten 4.0. Wie wir morgen arbeiten und leben“.

Dass sich die Berufstätigkeit insbesondere von Wissensarbeitern grundlegend ändern wird, steht für Stefan Rief außer Frage. „Man kann uns nicht über acht, neun Stunden in ein Büro einsperren, auch wenn es noch Leute gibt, die das gewöhnt sind“, sagt er. Diese Erkenntnis sickert auch bei den Arbeitgebern durch: Die Forscher vom Fraunhofer Institut verzeichnen jedenfalls ein stetig steigendes Interesse an neuen Arbeitsstrategien. Zwar sei den Unternehmen das Ausmaß der kommenden Veränderungen noch nicht klar, klar aber ist, dass sich etwas verändert. Und zwar, ob man nun will oder nicht. „Uns wird gar nichts anderes übrig bleiben, als kreativ, effizient und produktiv zu sein. Denn wir stehen in Konkurrenz zu anderen Regionen der Erde“, erklärt Stefan Rief. Zudem müssten alle künftig länger arbeiten und das gehe nun mal nur unter den richtigen Bedingungen. Beim Fraunhofer-Institut, das sei dazu gesagt, legen die Wissenschaftler ein positives Menschenbild zugrunde. „Wir gehen davon aus, dass der Mensch gerne arbeitet, gerne produktiv ist und gerne Leistung bringt. Und dies kann er nur, wenn er das richtige Umfeld hat, dazu gehört nicht nur der Raum, sondern auch Führung“, ist Rief überzeugt.

Führung wird künftig herausfordernder werden – denn sie wird individueller. Welchem Mitarbeiter kann man die Freiheit gewähren, außerhalb des Büros zu arbeiten? Wem nicht? Wer braucht eine stärkere Kontrolle? Wer arbeitet eigenverantwortlich? Und wer ist überhaupt dafür gemacht, im Home-Office oder in seinem Ferienhaus oder auch vom Straßencafé aus zu arbeiten?

Um Antworten auf diese Fragen zu finden, müssen Führungskräfte verschiedene Wege testen. Das Risiko, meint Rief, sei vergleichsweise gering. Spätestens nach einem Monat sei zum Beispiel klar, ob ein Mitarbeiter auch von einem anderen Ort aus Leistung erbringe oder nicht – ein Fehlschlag ist also durchaus kalkulierbar.

Ein gutes Beispiel dafür, dass das sogenannte multilokale Arbeiten gut funktioniert, ist Dänemark: Dort herrscht die höchste Arbeitszufriedenheit in ganz Europa – und die höchste Abwesenheit vom Büro. Viele Dänen arbeiten zwischendurch tatsächlich mal ein paar Wochen unter anderem von ihrem Ferienhaus aus. „Ein Ortswechsel inspiriert“, sagt Rief. „Dass man am Freitag mal später kommt oder früher geht, hat sich auch bei uns schon eingebürgert, aber dass man mal zwei Wochen in einen Coworking-Space geht, ist noch ungewöhnlich. Künftig werden wir unsere Büros öfter mal verlassen – und in gute Umfelder auch gerne wieder zurückkommen.“ Denn dass Mitarbeiter woanders arbeiten, heißt nicht, dass die Büros graue Verwahranstalten sein dürfen.

Rief verweist auf Microsoft in Wien: Dort können Mitarbeiter schon seit vielen Jahren frei wählen, wo sie arbeiten möchten. Das Ergebnis: Die Büros waren meist gähnend leer, was nicht so recht im Sinne des Erfinders war. Also baute Microsoft die Büros um – licht, luftig, bunt und spielerisch, mit unterschiedlich gestalteten Konferenzräumen und freundlichen Räumen. Seitdem sind die Büros wieder bevölkert. „Die Leute kommen zurück, weil es ihnen Spaß macht, dort zu arbeiten, und weil es Spaß macht, sich über den Weg zu laufen“, sagt Rief. Untersuchungen zeigen, dass etwa klassische Freelancer, wie Web-Designer oder Programmierer, in Coworking-Spaces mehr Umsatz machen, weil sie dort mehr Austausch und Inspiration haben und eine höhere Arbeitshygiene herrscht.

Igor Lakus: “ Eine der größten Herausforderungen bei diesem hybriden Modell ist die Führung der Mitarbeiter.“

Das Motto kann also nicht lauten „Alle raus aus dem Büro oder alle rein ins Büro“. Es sind flexible Arbeitsstrategien gefragt, die die Möglichkeiten bieten, an verschiedenen Orten zu arbeiten. Genau solche flexiblen Modelle testet gerade das Unternehmen Deutsche Telekom Kundenservice. Igor Lakus ist dort als Leiter für das Strategische Outsourcing Management verantwortlich, er erläutert: „Wir möchten ein Hybridmodell einführen, damit ein Bezug zu Unternehmen und Teamleiter bestehen bleibt. Dabei arbeiten die Mitarbeiter zwei, drei Tage im Unternehmen und die restliche Zeit oder Randzeiten von zuhause aus.“ Eine der größten Herausforderungen bei diesem hybriden Modell sei die Führung der Mitarbeiter. Zudem bedarf es neuer Querschnittsprozesse und natürlich auch einer Absicherung des Informationsflusses. Je komplexer die Aufgabe, desto schwieriger sei es, die Leistung außerhalb des Büros zu erbringen – denn es fehlten schlicht Kollegen oder Vorgesetzte, die mal schnell weiterhelfen könnten, so Igor Lakus. Gemeinsam mit Dienstleistern erprobt die Telekom-Tochter derzeit neue Heimarbeitsplätze. Mit ihrer Hilfe sollen Services flexibler werden, etwa spezielle Zeitfenster und Randzeiten ab- decken oder Spitzen abfangen; zugleich verspricht sich das Unternehmen eine höhere Motivation und Produktivität von den Homeworkern. Dennoch ist das Auslagern der Call Center-Arbeit „nach Hause“ eine sensible Sache, denn die Mitarbeiter haben Zugriff auf persönliche Kundendaten: Die Deutsche Telekom Kundenservice muss die Konzernsicherheit gewährleisten und hohe Datenschutzstandards erfüllen. So dürfen zum Beispiel nur mandatierte Agenten in einem separaten Raum Zugang zu den Arbeitsplätzen haben; die Daten dürfen zudem nicht abfotografierbar sein. Das ist schon für sich alleine anspruchsvoll – dass aus historischen Gründen zum Teil mehrere Systeme parallel laufen, macht die Sache nicht einfacher. Die Telekom- Tochter arbeitet insgesamt mit elf Dienstleistern im Inbound- Service zusammen. Eine weitere knifflige Aufgabe ist die Kontrolle der Home-Office-Mitarbeiter. Technisch möglich ist vieles, vom Monitoring über Sprache bis hin zur Aufzeichnung der Screen-Bewegung – allerdings sind die Betriebsräte davon nicht zwingend begeistert. Auch hier zeigt sich, dass das flexible Arbeiten neue Vereinbarungen erfordert.

Der Wunsch von zuhause aus zu arbeiten, besteht übrigens bei den meisten: „Es gibt zwar auch einige, die nicht virtuell arbeiten wollen – schon deshalb bevorzugen wir ein hybrides Modell –, aber der Großteil der heute in Call Centern beschäftigten Mitarbeiter würde das sehr gerne tun“, berichtet Lakus. Auf die Frage, ob es günstiger oder teurer sei, Menschen von zuhause aus arbeiten zu lassen, antwortet der Outsourcing- Experte: „Spannende Frage. In erster Linie geht es darum, Flexibilitätsbedarfe abzudecken. Preislich ist es von den Volumina abhängig. Bei Kleinstmengen ist die Heimarbeit teurer, ansonsten liegt sie auf gleichem Niveau.“

Zweifellos ließen sich mit virtuellen Call Centern Einsparpotenziale heben, ist Lakus überzeugt. „Dienstleister, die sich nicht mit dem Thema beschäftigen, haben den Ernst der Lage nicht erkannt. Virtuelle Arbeitsplätze sind ein Weg, den gestiegenen Anforderungen zu begegnen.“

Eine dieser gestiegenen Anforderungen sind die zweifelsfrei stetig wachsenden Ansprüche an einen schnellen und exzellenten Kundenservice. Die andere ist die Tatsache, dass der Arbeitsmarkt für Call Center-Betreiber sehr schwierig ist – qualifizierte Mitarbeiter sind rar. Was bekanntlich nicht nur diese Branche betrifft.

Das Handelsblatt zitierte in dem lesenswerten Artikel „Generation anspruchsvoll“ vom 8. August das Institut der deutschen Wirtschaft. Demnach gibt es bereits heute 60 000 Mathematiker, Techniker, Informatiker und Naturwissenschaftler mit Hochschulabschluss zu wenig. Hinzu kommen nach Angaben des Vereins Deutscher Ingenieure (VDI) noch 65 000 fehlende Fachkräfte in Ingenieurberufen. Der Wandel unserer Arbeitswelt – der ist bereits in vollem Gange. Und damit wartet nicht nur auf Wissensarbeiter und andere Hochspezialisierte, sondern auch auf Führungskräfte und Personalprofis jede Menge Arbeit.

4 Regeln für Beschäftigte

  • Sich selbst managen. Flexible Arbeitsmodelle verlangen ein hohes Maß an Selbstorganisation. Effizientes Arbeiten und Verlässlichkeit sind unabdingbar.
  • Sich selber schützen. Flexible Arbeit darf nicht zur Selbstausbeutung führen. Engagierte Mitarbeiter setzen Grenzen und halten diese ein.
  • Sichtbar bleiben .Wer selten im Büro ist, muss stärker darauf achten, dass seine Arbeitsergebnisse und seine Rolle als Teammitglied wahrgenommen werden.
  • Digitale Kommunikation aktiv und effektiv nutzen. Soziale Medien nutzen, um eigene Leistung und Kreativität darzustellen.

Quelle: Bitkom, Studie: Arbeiten in der digitalen Welt, April 2013

Prominentes Beispiel fürs Neue Arbeiten: Axel Springer-Chef Mathias Döpfner schickte BILD- Chefredakteur Kai Diekmann für ein Jahr nach Palo Alto ins Silicon Valley – zur Inspiration.

von Vera Hermes

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