Führung entscheidet

Mitarbeiterorientierung? Kundenorientierung? Wertschöpfung? Wird alles nix, wenn die Führung nicht stimmt. Warum das so ist und dass es hier nicht ums Pampern oder einen esoterischen Soft-Ansatz geht, erklärt ZHCM-Chef Kuno Ledergerber.

Herr Ledergerber, sind Produkte besser, Kundenbeziehungen enger, Umsätze höher, wenn Unternehmen stark mitarbeiterorientiert agieren?

KUNO LEDERGERBER: Das ist ein Thema, das derzeit an verschiedenen Orten untersucht wird. Noch gibt es nur wenige Daten. Auch wir haben gerade ein Forschungsprojekt dazu. Dass eine mitarbeiterorientierte Unternehmenskultur zu höherer Kundenbindung führt, hat mein Kollege Frank Hannich in seiner CRM-Studie bereits nachgewiesen. Meine Hypothese lautet: Produkte – seien es Dienstleistungen oder Waren – unterscheiden sich immer weniger durch ihr Design oder ihre Verpackung. Sie unterscheiden sich durch das, was an Know-how in ihnen steckt. Grundsätzlich ist zum Beispiel ein Audi nicht besser als ein Škoda. In beiden Produkten steckt unglaublich viel Know-how. Das Know-how, das Unternehmen einsetzen – also die Kompetenzen der Mitarbeiter – gehört nicht den Unternehmen, sondern den Mitarbeitern. Ein Unternehmen kauft das Humankapital zwar ein, es gehört ihm aber nicht. Der Unternehmensführung fällt dabei die Aufgabe zu, die Mitarbeiter ihren Fähigkeiten entsprechend einzusetzen und Rahmenbedingungen zu schaffen, die es ermöglichen, dass Mitarbeiter ihre persönlichen Fähigkeiten einsetzen wollen und dürfen! Das hat übrigens nichts mit Pampern zu tun.

Also hängt Mitarbeiterorientierung zuallererst von Führung ab?

KUNO LEDERGERBER: Ich kann nicht von Mitarbeitern Kundenorientierung verlangen, wenn ich sie nicht richtig einsetze, meine Versprechen nicht einhalte, ihnen keine Verantwortung übertrage. Das hat viel mit Management und Führung zu tun. Es gibt unterschiedliche Prozesse in Unternehmen, die unterschiedlich gesteuert werden müssen. Zum Beispiel kann eine Forschungs- und Entwicklungsabteilung nicht durch Prozessvorschriften gesteuert werden, es braucht andere Führungsinstrumente, damit die Menschen dort ihre Kreativität umsetzen können. In der Verkaufsabteilung wiederum müssen Sie die Menschen am Erfolg messen – damit müssen Sie ihnen aber auch die Verantwortung übergeben, diese Ziele zu erreichen, und können nicht sagen: „Du darfst nur zwischen 9 und 16 Uhr telefonieren.“ Dann nämlich messen sie den Mitarbeiter am Erfolg, steuern ihn aber nach Verhalten – das geht nicht. Eine Verwaltung wiederum sollte nach Prozessen gesteuert werden, denn das ist der Kern ihrer Aufgabe. Unternehmen müssen also je nach Aufgabe anders steuern. Dann erzielen sie den größtmöglichen Nutzen für das Unternehmen und die Kunden.

Das macht Führung hochkomplex.

KUNO LEDERGERBER: Ja. Es gibt ja auch diese ewige Diskussion, ob Management, Führung oder Leader ship – das ist schöngeistige Turnerei. Es kann alles drei vorkommen. Wahrscheinlich lässt sich nicht eine einzige Führungsphilosophie über ein Unternehmen ziehen. Ich bin ein harter Kritiker von einheitlichen Führungsansätzen, die durchs Unternehmen gejagt werden. Denn dann werden nicht alle Mitarbeiter so eingesetzt, dass sie ihre Kompetenzen zum Wohle der Wertschöpfung einbringen können.

Ein Autoverkäufer muss andere Kompetenzen haben als der, der den Scheibenwischer montiert, also muss er auch anders gesteuert werden, und das wird sich für den Kunden erlebbar auswirken. Das soll hier übrigens nicht als esoterischer Soft-Ansatz rüberkommen: Ich muss Menschen klar führen. Einen Azubi im ersten Lehrjahr muss ich anleiten, zeigen, was er zu tun hat, darf ihn nicht zu frei lassen. Leistung setzt sich zusammen aus Kompetenzen, aus organisatorischen Rahmenbedingungen sowie aus Motivation. Leistung ist also eine Faktorverknüpfung: Kompetenzen x Rahmenbedingungen x Motivation. Wenn einer dieser Faktoren gegen null tendiert, ist die Gesamtsumme gleich null. Wenn ein Autoverkäufer zum Beispiel eine hohe Kompetenz hat und an das Produkt glaubt, ist er in der Regel motiviert, seine Kompetenz einzusetzen. Solch eine Motivation wird aber oft zerstört durch schlechte Rahmenbedingungen, Mikro-Management, fehlendes Budget, fehlendes Feedback oder schlechte Prozesse. Das schlägt sich in Produkten und in der Kundenorientierung nieder.

Welche Führungsansätze erweisen sich denn als erfolgreich?

KUNO LEDERGERBER: Wir brauchen eher weniger Werkzeuge und Instrumente und mehr Überzeugung, dass Mitarbeiter ihre Kompetenzen einsetzen werden, wenn Unternehmen ihnen das Vertrauen schenken, dass sie das richtig machen. Es kursieren viele schlechte Methoden, zum Beispiel das Forced Ranking, bei dem Manager ihre Mitarbeiter in Best und Worst Performers einordnen. Unternehmen schicken ihre Führungskräfte in Managerkurse, damit sie lernen, Strategien und Visionen zu entwickeln – und gleichzeitig sollen sie ihre Leute in Performance- Gruppen einteilen. Das geht nicht. Wir haben einen Overload an Führungsinstrumenten, die eher Negatives als Positives bewirken.

Wozu raten Sie denn?

KUNO LEDERGERBER: Ich rate dazu, sich an der Führung mittelständischer Unternehmen zu orientieren: Einem Inhaber kommt es nicht in den Sinn, seine Leute mit übertriebenen Mechanismen zu überziehen, sondern er setzt auf den gesunden Menschenverstand. Großunternehmen können vom Mittelstand in dieser Beziehung viel lernen. Letzterer weiß, dass er Verkäufer anders führen muss als Fließbandarbeiter. Großbetriebe sind zu instrumentengetrieben. Man investiert eher in Instrumente als in die Kompetenzen der Mitarbeiter, die für mehr Kundenorientierung sorgen und damit für Wertschöpfung. Und die ist wichtiger denn je.

Schauen Sie sich die demografische Entwicklung in Mitteleuropa an: Die Endkunden der Produkte werden immer älter, das sind Babyboomer. Diese Menschen können viel, wissen viel und verfügen über einen gewissen finanziellen Spielraum. Unternehmen sollten sich Gedanken machen, wie sie diese Kunden betreuen. Ich bin 58 Jahre alt und hatte vor ein paar Wochen ein Gespräch über Hypotheken bei meiner Bank. Man hat mir einen 23-Jährigen gegenübergesetzt. Der kann alles, versteht mich aber nicht.

Die Kernfrage für Unternehmen lautet: Welche Kompetenzen sind an welcher Stelle wettbewerbsentscheidend und tragen zur Wertschöpfung bei? Das gilt auch für den Fließbandarbeiter beim Autohersteller– wenn der seine Arbeit nicht gut macht, rollt kein Auto vom Band.


KUNO LEDERGERBER ist Leiter des Zentrums für Human Capital Management (ZHCM) an der Zürcher Hochschule für Angewandte Wissenschaften im Schweizerischen Winterthur. Er spricht übrigens viel lieber vom vermeintlich kruden Humankapital als von Human Resources. Warum? „Ressourcen sind endlich, sie werden weniger und sind irgendwann verbraucht. In Kapital hingegen kann man investieren, man kann es mehren“, antwortet Kuno Ledergerber. Am Zentrum laufen mehrere Forschungsprojekte. Beim Projekt „Organizational Performance Improver“ geht es um den optimalen Unternehmenssteuerungsmix. Ausgangsthese ist, dass das Management oft mit unterschiedlichen Steuerungsmechanismen arbeitet, um die Performance zu beeinflussen: Während einige Prozesse stark reglementiert seien und mit formalen Vorschriften die Erzielung von Ergebnissen garantieren sollen, seien in anderen bloß die Ziele festgelegt und die Leistungserstellung werde mittels Ergebniskontrollen gesteuert. In wieder anderen werde weitestgehend selbstorganisiert gearbeitet. Hier gehen die Wissenschaftler gemeinsam mit mehreren Unternehmen der Frage auf den Grund, welche die optimalen Mess- und Beurteilungsgrößen sind, um Unternehmen zu steuern und ungenutzte Leistungspotenziale zu identifizieren und auszuschöpfen. Mehr Informationen finden Sie unter www.zhcm.zhaw.ch

Das Interview führte Vera Hermes

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