Gerechtigkeit

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„Ach, das Leben ist ungerecht.“ Dieser oft mal larmoyant dahergesagte Satz ist leider wahr. Corona belegt ihn mit aller Härte.

 

Was eigentlich ist Gerechtigkeit? Mit dieser Frage befassten sich die alten Griechen ebenso wie die Bibel, die großen Philosophen der Neuzeit ebenso wie Justiz und Politik. Die Diskussion reicht von dem Prinzip „Jedem das Gleiche“ bis hin zu „Jedem nach seinen Bedürfnissen“. Gerechtigkeit ist eine komplexe Angelegenheit – denken Sie allein an soziale Gerechtigkeit, Generationengerechtigkeit und, neu diskutiert, Klimagerechtigkeit oder auch die Gerechtigkeit gegenüber der Natur im Allgemeinen und den Tieren im Besonderen. Nein, Gerechtigkeit ist nicht einfach zu definieren, schon gar nicht einfach herzustellen. Und so muss zwangsläufig sehr verkürzt sein, wovon hier die Rede sein soll.

 

Wenn wir als Minimalkonsens voraussetzen, dass die Gleichbehandlung aller Menschen ein essenzieller Bestandteil von Gerechtigkeit ist, dann offenbart Corona, das fiese Virus, dass es auf dieser Welt ganz und gar nicht gerecht zugeht:

 

Arme Menschen trifft die Pandemie härter als Wohlhabende.

 

Schon wegen der Wohnverhältnisse und des Zugangs zu ärztlicher Versorgung sterben arme Menschen häufiger an dem Virus als Reiche.

 

Und: Arme Menschen werden wegen der weltweiten Wirtschaftskrise ärmer. Viele Reiche werden reicher. Bis zu 40 Millionen US-Amerikaner drohen laut „Spiegel“ ihr Zuhause zu verlieren, weil sie ihre Mieten nicht mehr zahlen können (Stand: August 2020). Im Juni schätzte der Internationale Währungsfonds, dass die Weltwirtschaft im Jahr 2020 um 4,9 Prozent schrumpfen wird. Zugleich meldet die Börse Rekord auf Rekord – wer sein Geld etwa in Tech-Aktien investiert hat, dessen Vermögen hat sich seit Pandemie-Beginn erklecklich vermehrt. Die Apple-Aktie zum Beispiel legte von März bis August um über 30 Prozent zu.

 

Schwarze Menschen trifft die Pandemie härter als Weiße.

 

Im Juli war es laut „Tagesschau“ statistisch betrachtet für schwarze und hispanische US-Amerikaner dreimal so wahrscheinlich, sich mit Corona zu infizieren, als für ihre weißen Nachbarn.

 

Männer trifft die Pandemie härter als Frauen.

 

Die Verteilung der Sterberate lag im Juni laut Robert-Koch-Institut etwa bei zwei Dritteln zu einem Drittel. Das gilt nicht nur in Deutschland, sondern auch in anderen Ländern. Die Ursache dafür war bis Redaktionsschluss wissenschaftlich nicht geklärt. Es kann daran liegen, dass Männer oft ungesünder leben als Frauen, aber das ist nicht sicher.

 

Menschen in manchen Staaten trifft die Pandemie härter als andere.

 

Menschen in Staaten mit schlechtem Führungspersonal sind in der Regel stärker betroffen als solche mit klügeren Regierungen, siehe USA und Brasilien versus etliche Länder der EU oder Kanada. Während Mexikos Präsident Andrés Manuel López Obrador wahlweise das Tragen von Amuletten oder den Glauben an die Jungfrau Maria als Infektionsschutz empfiehlt, werden in Deutschland Bußgelder für Verstöße gegen die Corona-Regeln verhängt. Die Sterberate für COVID-19-Patienten lag im August in Mexiko bei über 10 Prozent und somit überdurchschnittlich hoch.

 

Die Corona-Pandemie ist wie ein Scheinwerfer, der die grassierende Ungerechtigkeit ausleuchtet. Schuld daran, dass es nicht gerecht zugeht, ist – auch wenn das pathetisch klingt – die Menschheit selbst (von der Geschlechterfrage in diesem Fall mal abgesehen). Weniger Ungleichheit, weniger Rassismus, klügere Entscheidungen würden zu mehr Gerechtigkeit führen und die wiederum dafür sorgen, dass wir alle und überall besser vor Pandemien und anderem Unbill geschützt wären.

 

Nun geht es hierzulande zwar mit Blick auf oben genannte Punkte noch vergleichsweise gerecht zu. Allerdings gibt es keinerlei Grund, sich auf die Schulter zu klopfen. Mit der Pandemie ist in Deutschland die Diskussion entflammt, ob die Entlohnung derer, „die den Laden am Laufen halten“ – vom Krankenhaus- und Pflegepersonal über Kassiererinnen bis hin zu Regaleinräumern und Paketzustellern – denn wohl gerecht sei. Hier versteht sich Gerechtigkeit eher als Frage der Fairness. Das Gros der Menschen hat ein feines Gespür dafür, dass es nicht in Ordnung ist, dass Angehörige bestimmter Berufe für kleines Geld die sich nun als systemrelevant herausgestellten Jobs erledigen. Das hat man zwar schon vorher geahnt, aber auch hier hat Corona als Brennglas die Missstände aufgedeckt. Und also wurde gesungen, geklatscht, gedankt, Respekt gezollt – und Abhilfe versprochen. 1.500 Euro Pflegeprämie versprach die Politik. Um diese Prämie gab es noch bis Redaktionsschluss ein Riesengezerre, weil sie nicht überall dort angekommen ist, wo sie nach Meinung vieler Beteiligter hätte ankommen sollen. 1.500 Euro Sonderprämie für Corona-Extraschichten – löst solch eine Geste das Grundproblem? Ist das gerecht?

 

Wenn uns die Pandemie etwas lehrt, dann auch, dass wir in vielen Belangen für mehr Gerechtigkeit sorgen müssen. Und, nebenbei bemerkt, auch so manches Mal dankbarer sein und uns an John F. Kennedys Worte erinnern sollten, die da lauten: „Das Leben ist ungerecht, aber denke daran, nicht immer zu deinen Ungunsten.“

 

Text: Vera Hermes

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