Hafners Kolumne 25

2022-03-11T10:22:48+01:0011. März 2022|Tags: , , , |
Hafners Kolumnensofa vernetzt-magazin Heft 25

Frau Puvogels Maschine lernt

Von Prof. Dr. Nils Hafner

„Alexa, mach’s Licht an.“ Hanspeter Puvogel, 56 und Chefbuchhalter (mit der Betonung auf „Chef“!), drängt energisch auf Erleuchtung. Die Maschine pariert anstandslos. „Alexa, starte Morgenroutine.“ Es ist 6 Uhr 42, Hanspeter kommt langsam in Fahrt. Automatisch beginnt die Kaffeemaschine hochzufahren, die Fußbodenheizung springt an und die intelligenten Lautsprecher starten die Wiedergabe der „Welle Nord“ Morningshow. „Hach“, denkt Elvira, seine angetraute Göttergattin und Immer-noch-Interims-Callcenter-Leiterin, „das läuft hier wieder genau nach HaPes Geschmack. Er mag das so, wenn er sagen darf, wo’s langgeht.“

Na ja, so ganz ist er ja nicht Alleinentscheider. Der Musikchef der „Welle Nord“ hat da noch ein Wörtchen mitzureden, denn nun sagt der sympathische Moderator: „Auf vielfachen Hörerwunsch spielen wir jetzt ‚Abschied ist ein schweres Schaf‘ von Roger Whittaker.“ Und das hat sich der Chefbuchhalter nun gar nicht so vorgestellt. „Wie alt sind denn diese Hörer?“, fragt er empört und weist die Maschine an: „Alexa, mach’s Radio aus.“ Stille herrscht.

Eigentlich klasse, wie das funktioniert. Elvira hat sich an Alexa gewöhnt. Wenn die Maschine nur nicht immer während ihrer Lieblingsserie anspringen würde, wenn SIE (die Hauptperson) IHM (dem Angeschmachteten) ins Ohr säuselt: „Ohhh … Alexander.“ Das zerstört den ganzen Zauber der Serie. Und so richtig hört das blöde Ding (Alexa) auch nur auf Hanspeter. Elvira hat das mal probiert. Und dann hat das Gerät gesagt: „Bist du Elvira? Ich möchte dich besser kennenlernen, um deine Stimme besser zu verstehen.“ Und das war Frau Puvogel dann zu viel Nähe. Deutlich zu viel.

Aber hilfreich ist diese „künstliche Intelligenz“ schon. Beispielsweise im Callcenter, Elviras Immer-Noch-Arbeitsplatz während der Pandemie. Ruft ein Kunde an, wird er anhand seiner Rufnummer voridentifiziert. Hat er ein offenes Problem bei der Firma, werden die Unterlagen dazu gleich dem Mitarbeiter oder der Mitarbeiterin auf den Screen gespielt. Und meldet er einen Schaden per E-Mail, so wird das Ganze schon zu 90 Prozent automatisch bearbeitet. Menschen sorgen hier nur noch für die Qualitätssicherung.

So richtig genial wird das aber beim Coaching der Kolleginnen und Kollegen. Früher musste man als Teamleiterin noch mindestens die Hälfte der Zeit, die man für Coaching hatte, einen geeigneten Fall raussuchen. Und wenn der Mitarbeiter dann einen schlechten Tag hatte, entgegnete der: „Hey, da hast du dir aber genau die eine Ausnahme rausgesucht. Das passiert sonst nie.“ Und heute? Elviras Teamleiterinnen drücken auf einen Knopf und erhalten eine Übersicht „schwieriger Gespräche“. Sie können auswerten, welche Fehler gemacht werden, aber auch, wo Mitarbeitende sich richtig toll verhalten haben. Es geht ja darum, anhand von typischen Beispielen im Coaching zu lernen. Und da hilft die Maschine enorm.

Apropos „Lernen“. Woher weiß denn die Maschine so etwas? Wann ein Mitarbeiter einer Kundin ins Wort gefallen ist? Und wie man so etwas anhand der Stereoaufzeichnung erkennt? Oder ganz simpel: dass die „Welle Nord“ ein Radiosender ist?

„Ey Ei!“ hatte ihr Chef Kammüller auf diese Frage geantwortet. Der ist zwar ganz schön schlau, hat sogar einen MBA, betrachtet das aber wohl als Herrschaftswissen, denn dass mit „Ey Ei!“ Künstliche Intelligenz gemeint ist, das war Frau Puvogel auch schon klar. Nur, wie funktioniert so etwas? „Na ja“, hatte ihr ein junger Trainee im Callcenter erklärt, „das hat jemand der Maschine beigebracht. Im Idealfall die Maschine selber, die aus Daten Zusammenhänge darstellt und dadurch lernt.“ Machine Learning quasi. Und je länger das System lernt, desto präziser werden seine Schätzungen. Wenn Hanspeter also jeden Morgen die „Welle Nord“ hört, ist die Wahrscheinlichkeit, dass mit „Spiel Welle Nord!“ eben dieser Radiosender gemeint ist, sehr hoch. Und die gleiche Idee wendet man halt auf die Analyse von Telefongesprächen im Callcenter an, die man aufgezeichnet hat.

„Hmm, wäre das nicht viel cleverer, wenn wir dem Kollegen am Telefon das gleich anzeigen, jedes Mal, wenn der – aus Sicht des Systems – einen Fehler macht? Oder wenn der Kunde langsam sauer wird?“
„Na ja“, so der Experte der Firma FÜNF, den Frau Puvogel darauf angesprochen hat, „vielleicht kann der Kollege in der Situation ja gar nicht damit umgehen und es macht ihn nur unsicherer.“ Das sieht Frau Puvogel ein. Wenn uns eine wie auch immer geartete künstliche Intelligenz schon beim Reflektieren hilft, muss man das genau dann nutzen, wenn der Mensch zur Reflexion bereit ist und Zeit hat. Und – ganz wichtig – auch verstehen kann, wie solche Ergebnisse zustande kommen und das nicht per se spooky findet.
Dieses Problem, so findet Frau Puvogel, hat ihr Hanspeter nicht.

* Prof. Dr. Nils Hafner ist internationaler Experte für den Aufbau profitabler Kundenbeziehungen. Er ist Professor an der Hochschule Luzern und Alumnus des generationenübergreifenden akademischen Marketing Netzwerks MTP. In seinem Blog „Hafner on CRM“ versucht er dem Thema seine interessanten, spannenden, skurrilen und lustigen Seiten abzugewinnen. Zusammen mit Co-Autor Harald Henn zeichnet er verantwortlich für den CEX Trendradar.

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