
Frau Puvogel arbeitet nun auch im Homeoffice.
Von Prof. Dr. Nils Hafner
Hach. Homeoffice.
Elvira Puvogel, immer noch 54 und immer noch Leiterin des Call Centers (ad interim) einer großen Versicherung, sinniert über das Leben. „Ich bin mit der Gesamtsituation unzufrieden“, stellt sie fest. Eigentlich wollte sie ein neues Produkt designen und sich damit quasi im eigenen Unternehmen selbständig machen. Und hatte dafür aus dem Innovationsfonds sogar Geld bekommen. Aber dann kam die Pandemie und das erste Mal Homeoffice, dann war ihr Chef mit der neuen Führung in ihrem alten Job als Call Center-Chefin unzufrieden, also machte sie das wieder halbtags, um ihn zu unterstützen. Schließlich auch wieder Fulltime. Ihr Chef Kammüller hat halt einen MBA. Und neuerdings sogar Corona. Armer Kerl.
Aber so richtig die Erfüllung ist die Führung des CCs für Frau Puvogel nicht mehr. Schon gar nicht aus dem Homeoffice. 635 Leute im Kundenservice aus dem Homeoffice betreuen. Ein Sack Flöhe wäre leichter zu hüten. „Item“, denkt sie und starrt auf ihr Cockpit. Eigentlich enorm, was einem so Berater innerhalb von drei Monaten hinzaubern können, wenn die Zeit drängt. Sie kann alle Kennzahlen ihres Centers in Echtzeit verfolgen. Wartezeit, Servicelevel, Erstlösungsquote, Anzahl der eingeloggten Mitarbeiter*innen (das steht da tatsächlich – die einzige Überschrift über drei Zeilen mit Sternchen) und sogar die Anzahl der wartenden Kunden kann sie für alle drei Warteschleifen sehen. Wow.
Auch die VoIP-Infrastruktur kann sich sehen lassen. Welche Organisation hat es schon geschafft, über 300 Menschen in einem virtuellen Call Center gleichzeitig mehr oder weniger reibungslos mit Kunden telefonieren zu lassen? Als das vor zehn Jahren die Genesys’ und Swisscoms dieser Welt erzählt haben, hat sie es ja nicht geglaubt. Und stolz ist Elvira nicht nur auf die Technik und die Infrastruktur, sondern vor allem auf ihr Team. Klar, der Krankenstand hat sich ein wenig erhöht. 42 Mitarbeitende zurzeit. Einer sogar mit MBA.
Und kaum einer fehlt wegen psychischer Probleme. Davon zeugt auch der Fotowettbewerb „Mein Homeoffice“, den die Personalabteilung neulich veranstaltet hat. Mehr als 400 Teilnahmen aus dem Call Center. Und was für tolle Fotos! Karin Mergereit, die einen Monitor mit direktem Draht ins Kinderzimmer im Büro hat, um Ruhe zum Telefonieren zu haben, Adrian Berger, der sich wirklich eine Menge Pflanzen auf seine 32 Quadratmeter gestellt hat, und „Specky“ Neumann mit seinen vierzehn Katzen. Nee, der ist eigentlich eher weird. Kommt aber gut an bei den Kunden.
Peinlicherweise hat Elvira den Wettbewerb selbst gewonnen. Ihren Arbeitsplatz hat sie seit zwei Monaten im Keller. Hans-Peter, ihr Göttergatte, ist ja ebenfalls zu Hause und neben dem kann nun wirklich keiner arbeiten. Chefcontroller. Mit Betonung auf „Chef“, wenn er telefoniert. Ein Foto von eben diesem Kellerarbeitsplatz hat jetzt den Preis geholt: Auf einem zwei Meter langen, zehn Zentimeter dicken Brett, welches links von der Waschmaschine und rechts vom Trockner gestützt wird, steht eine Pflanze, eine Tastatur, eine Maus, der Kaffeebecher und drei Monitore. Einer blinkt gerade rot, 34 Kunden in der Warteschleife und 52 Mitarbeiter in der Pause. Elvira greift zum Headset. Ihre Teamleiterin ist sofort dran. „Hey, Elvira, ich hab es schon gesehen. Kümmere mich drum, wir sollten gleich wieder mindestens zurück auf Orange sein. Kannst Dir einen Kaffee holen.“
Und das macht Frau Puvogel jetzt. Zwei Dinge, denkt sie, kann keine Pandemie der Welt kleinkriegen, ein eingespieltes Team und ein wenig Resilienz.
Hach. Homeoffice.
* Prof. Dr. Nils Hafner ist internationaler Experte für den Aufbau profitabler Kundenbeziehungen. Er ist Professor an der Hochschule Luzern und Alumnus des generationenübergreifenden akademischen Marketing Netzwerks MTP. In seinem Blog „Hafner on CRM“ versucht er dem Thema seine interessanten, spannenden, skurrilen und lustigen Seiten abzugewinnen. Bei Haufe erschien 2018 sein Amazon Nr. 1 Bestseller „Die Kunst der Kundenbeziehung“ in der zweiten Auflage.