Harry Schulz ist der ungekrönte Pommes-Hähnchen-Currywurst-König in Hamburg. Sein etwa 15 Quadratmeter kleiner Imbiss namens „Lütt’n Grill. Imbiss Delüx“ gilt manchem Szene-Magazin als drittbestes Lokal der an guten Restaurants reich gesegneten Hansestadt.
Über dem Fenster zur Max-Brauer-Allee hängt das Lütt’n-Grill- Glaubensbekenntnis; darin steht unter anderem, dass Hähnchen das Recht haben, frisch und nicht gefroren in den Grill geschoben zu werden. Oder: „Wir glauben, dass es sich lohnt, gute Qualität zu bieten.“
Die Zeitung Die Welt hat Harrys Laden mal als „Mutter aller Luxusimbisse“ bezeichnet. Bevor er 1995 den Lütt’n Grill gründete, war Harry Besitzer einer Werbeagentur; weil er aber nicht länger 7 Tage die Woche 17 Stunden am Tag arbeiten wollte, beschloss er, den besten Imbiss der Stadt zu eröffnen. Vor drei Jahren war ein Fernsehteam bei Harry Schulz zum Essen, kurze Zeit später trat er das erste Mal als Imbissbudentester bei Sat.1 auf. Erst bekam er eine Aufwandsentschädigung, heute bezieht er eine Gage: Seine Tests laufen fünf Mal die Woche, fünf bis zehn Millionen Menschen sehen Harry Schulz dabei zu, wie er Service, Sauberkeit und Qualität von Skistationen, Pommesbuden oder Döner-Grills unter die Lupe nimmt.
Der Lütt’n Grill war von Anfang an Treffpunkt von Hamburger Kultmusikern wie Lotto King Karl, Jan Delay oder Samy Deluxe. Mit denen hat Harry eine CD aufgenommen, deren Erlöse er spendet. Gleiches macht er mit sämtlichen Trinkgeldern und den Gewinnen aus seiner eigenen „Imbiss Delüx“-Klamottenkollektion. Harry Schulz, in St. Pauli geboren, früh verwaist, auf dem Kiez groß geworden, zwischenzeitlich auch mal Deutschlands jüngster Discjockey, sagt: „Ich will was zurückgeben.“
Als Harry Schulz im Sommer zum ersten Mal in einer Talkshow – oder besser gesagt in DER Talkshow für alle Hamburger, nämlich der vom NDR – auftrat, sagte der Moderator Hubertus Meyer-Burckhardt zum Schluss: „Der Mann hat gute Geschichten. Der Mann hat gutes Essen. Der Mann hat einen guten Grill. Gehen Sie mal hin – Harry Schulz.
Harry, wie fühlt es sich an, Kult zu sein?
Harry Schulz: Für mich ist der Lütt’n Grill wie eine Showbühne. Ich ziehe meine Kochklamotten an, stelle mich hinter den Tresen, bin glücklich und mache andere Menschen glücklich – das ist die Rolle meines Lebens. Das ist wie im Kino: Ich gucke mir einen Film an und zahle dafür nicht mal Eintritt.
Du hast mit Hamburger Promis eine Benefiz- CD aufgenommen, vom Lütt’n Grill gibt’s T-Shirts, als Imbisstester bei Sat.1 verteilst du den Harry-Stern mit deinem Konterfei drauf. Ist das nun total geschickte Selbstvermarktung oder Zufall?
Harry Schulz: Es wäre gelogen zu sagen, dass das alles Zufall ist. Ich bin seit meinem zwölften Lebensjahr Geschäftsmann. Ich habe Tapetenrollen sortiert, Hotelhöfe gefegt, Porzellan ausgetragen. Als Zwölfjähriger hatte ich eine richtig gute Geschäftsidee: Ich bin zu Nutten gegangen und habe sie gefragt, wann sie sich Lebensmittel besorgen. Erst kam die Antwort: „Geh spielen, Kleiner“, zum Schluss hatte ich 13 Kundinnen, von acht sogar den Haustürschlüssel, und habe für sie eingekauft und ihnen den Tisch gedeckt. Ich bin mit Nutten und Zuhältern aufgewachsen, daher meine große Klappe.
Also kein Zufall, sondern Strategie?
Harry Schulz: Ich weiß, wie es geht. Ich habe einfach das gemacht, was ich meinen Kunden immer erzählt habe: Tue Gutes und rede drüber. Zur Eröffnung habe ich eine Pressemitteilung geschrieben, heute habe ich eine Pressemappe für eine Pommesbude mit Artikeln aus dem Mata- dor oder der Elle. Das ist unglaublich. Lütt’n Grill ist ein Promi-Imbiss geworden, lange bevor ich prominent wurde. Journalisten kamen vorbei, Künstler kamen vorbei. Dabei bin ich ein einfacher Pommesbäcker, natürlich mit einem gewissen Hintergrund, aber trotzdem ein Pommesbäcker.
Apropos einfacher Pommesbäcker: Was haben denn deine Freunde gesagt, als du deine Werbeagentur an den Nagel gehängt hast?
Harry Schulz: Ich dachte damals, ich hätte viele Freunde – das war ein Reinigungsprozess für mich, denn ich musste feststellen, dass viele bloß mochten, was ich darstelle, nicht, was ich bin. Vom Werber zum Pommesbäcker ist ein sozialer Abstieg. Viele haben mich gefragt, warum ich das mache. Klar, es gab schon zweitausend Pommesbuden in Hamburg, aber: Die beste gab’s noch nicht. Ich hätte auch eine Wäscherei eröffnen können, das hätte auch geklappt.
Du bist enorm erfolgreich – sind besagte Freunde jetzt wieder da?
Harry Schulz: Auch heute wird nicht Harry eingeladen, sondern das, was ich darstelle. Die wollen mit mir angeben, und das ist ja auch okay, aber ich bin der Entscheider. Ich bin zu einem Neinsager geworden, ich gehe nur noch dahin, wo ich auch etwas von habe. Für Benefizanlässe stehe ich sofort auf, alle anderen müssen bezahlen, wenn sie mit mir angeben wollen. Als allerdings die NDR Talk Show mich eingeladen hat, habe ich geheult. Stell dir das mal vor: Ich als Hamburger Jung mit einem Hamburger Laden in der NDR Talk Show! Das ist auch gut fürs Ego, machen wir uns mal nichts vor.
Ein Bestandteil der Marke Harry Schulz ist der unbedingte Glaube an Qualität.
Harry Schulz: Ja, ich wusste, dass ich einen Luxusimbiss haben will, aber es geht nicht um Chichi, es geht um gute Qualität. Ein Geschäft muss für beide Seiten gut sein, nur dann funktioniert es. Ich bin nicht für den Geschmack verantwortlich und kann es nicht allen recht machen, aber ich kann für die Qualität stehen.
Du sagst von dir selbst, du wärst „ein bisschen eine Rampensau“. Ist das ein Schlüssel deines Erfolgs?
Harry Schulz: Ich bin das Frontschwein, aber ohne Crew bin ich nichts. Ich verkaufe bis zu einem gewissen Grad auch meine Person. Wenn einer mit mir ein Foto machen will, dann mache ich das, denn für den ist das etwas Besonderes. Ich bin ja in die Öffentlichkeit gegangen, dann muss ich auch zu jedem nett und freundlich sein.
Wie alt bist du eigentlich?
Harry Schulz: Musst du das fragen?
Ne.
Harry Schulz: Also, ich bin schon nicht mehr so jung und hab schon viel Geld für meine Kosmetikerin ausgegeben.
Na?
Harry Schulz: Bis letztes Jahr war ich noch 43, aber jetzt bin ich 50.
Die Bundeswehrzeit zählt zu den besten Zeiten deines Lebens, warum?
Harry Schulz: Ich lehne alles ab, was mit Krieg und Waffen zu tun hat, aber bei der Bundeswehr hatte ich die beste Zeit meines Lebens, denn dort habe ich am meisten gelernt. Ich wusste ja gar nicht, was Kameradschaft und Zusammenhalt sind. Das war fantastisch. Noch während meiner Bundeswehrzeit bin ich vom Kiez weggezogen. Wäre ich da geblieben, wäre ich heute wahrscheinlich kriminell.
Wie viele Hühner verkaufst du eigentlich?
Harry Schulz: Ach nö, das darf mich das Finanzamt fragen. Über Zahlen spreche ich nicht. Nur so viel: Ich bin zufrieden, und 15 Jahre nur Hobby machen geht nicht.
Schon mal über Expansion nachgedacht?
Harry Schulz: Ich hatte das Franchise- Konzept schon in der Schublade, aber dann habe ich mir in der letzten Minute gesagt: „Ne, das ist zu viel, fahr lieber sechs Mal im Jahr in den Urlaub.“
Wie erklärst du dir deinen Erfolg?
Harry Schulz: Mundpropaganda ist sehr wichtig. Ich mache schon lange keine Anzeigenwerbung mehr. Der nächste Kunde ist immer der wichtigste – man darf eines nicht machen: sich zurücklehnen und glauben, man hätte es geschafft. Jeder, der in meinem Laden ist, hat das Recht, zehn Minuten meiner vollen Aufmerksamkeit zu haben. Meine Kunden sollen glücklich rausgehen. Ich gehe ja abends auch lächelnd raus. Zu mir kommen Kunden von ganz oben bis ganz unten, und wenn sie zusammen vorm Tresen stehen und eine Currywurst essen, unterhalten sie sich. Hauptsache, alle finden was und sind glücklich.
Bist du eine Marke?
Harry Schulz: Mittlerweile ja. Da habe ich schon drauf hingearbeitet. Ich versuche, für Werte zu stehen. Die Messlatte ist gar nicht so hoch. Das kann jeder.
Für welche Werte?
Harry Schulz: Na ja, Humanität ist, glaube ich, mein höchstes Ziel. Alle sprechen von Toleranz, aber wir leben Toleranz nicht. Jeder soll machen können, was er möchte, aber nicht auf Kosten anderer. Ich würde nie etwas auf Kosten anderer tun, da würde ich mich schütteln. Ich bin ein bisschen konservativ und mag traditionelle Werte. Dass man konsequent ist zum Beispiel und dass man nicht aufgibt. Mein Opa hat immer gesagt: „Wenn du hinfällst, ist das nicht schlimm, wenn du liegen bleibst, ist das ein Albtraum.“ Und ich bin heimatverbunden. Was ich überhaupt nicht mag, ist Gejammer. Mir kann keiner sagen, dass man mit einer Pommesbude nichts bewegen kann. Mein Motto ist: nicht sagen „Man müsste mal was machen“, sondern machen! Wer nichts macht, von dem will ich kein Gejammer hören. Wenn jemand sagt: „Ich will Supermann sein“ und zieht sich nicht den Anzug an und versucht zu fliegen, soll er nicht jammern.
Hast du dir immer den Supermann-Anzug angezogen?
Harry Schulz: Ja, das Leben liebt mich! Ich habe mir immer meine Wünsche erfüllt, das hat nichts mit Geld zu tun. Ich hab keine Flausen im Kopf. Ich bin von niemandem abhängig und der Entscheider meines Lebens. Ich habe meine Person, die ich verkaufen kann, und entweder es funktioniert, oder es funktioniert nicht. Ich kann in den Spiegel gucken und sagen: „Es ist nicht alles toll, was du machst, aber du hast schon Tolles erreicht.“ Ich habe natürlich auch schon viel Lehrgeld bezahlt – aber das muss man verdrängen können und sich stattdessen an die Erfolge dranhängen. Wir haben wahrscheinlich nur eine Runde auf diesem Planeten, warum nicht versuchen, glücklich zu sein?
Ein Gespräch über das Gefühl, Kult zu sein, und über Freunde, Qualität, die Bundeswehr und Supermann Harry Schulz, Marke
Und: Pommesbäcker, TV-Imbisstester, Werber, Schallplattencover-Gestalter, Mozart- und Puccini-Liebhaber, Prince-Fan, Emaille-Schilder- Sammler, Kiezkind, Spitzenunterhalter und großzügiger Spender. Auf die Frage, welche Initiative er Ihnen, liebe vernetzt!-Leser, ans Herz legen möchte, lautet die Antwort: Die Arche. www.kinderprojekt-arche.de Den Lütt’n Grill finden Sie in Hamburgs Schanzenviertel: www.luettn-grill.de.
Text: Vera Hermes
Diesen Beitrag teilen
