Eines steht sicher fest: Wenn das Internet und die Digitalisierung ein Sturm waren, der unser Leben verändert hat –, KI wird ein Tsunami sein. Keine Branche wird von Automatisierung ausgeschlossen sein. Selbst das Überleben traditioneller Geschäftsmodelle wie etwa Banken wird infrage gestellt. Experten glauben, dass rund die Hälfte aller Arbeiten von Robotern ersetzt werden könnte. Niemand kann sich der KI im täglichen Leben entziehen. Schon heute nutzen wir sie mit Siri, Cortana und Co, beim Navigieren und vielleicht putzt bei Ihnen schon ein Roboter zu Hause den Boden. Unsere Lebenszeit wird sich dadurch in Qualität und Dauer ändern. Dank medizinischer Mikrowächter in unseren Körpern werden wir nicht mehr krank werden oder Krankheiten früh entdecken und dadurch länger leistungsfähig leben, als es heute vorstellbar ist.

Das alles wird gravierende Folgen für unsere Gesellschaft, unsere Wirtschaft und unser politisches System haben. Kein Job, viel Freizeit und ewig leben? Funktioniert natürlich nicht. Das will alles noch beantwortet werden. Spiegel Online berichtete am 12. September 2016 über eine Studie zur Zukunft der Künstlichen Intelligenz mit der Überschrift: „Der Roboter putzt, der Mensch lebt vom Grundeinkommen“.

Aber zurück in die nähere Zukunft: Wenn Branchen, Berufe und Menschen sich ändern –, dann betrifft es selbstverständlich auch meinen Beruf: den des Personalberaters. Unser Geschäftsmodell ist das Finden der passenden Führungskraft oder eines Experten für ein Unternehmen. Die Frage ist nun:

Was verändert sich? Was bleibt? Schon heute erleichtert mir KI meine Arbeit, etwa in der Diagnostik oder bei der Informationsgewinnung über potenzielle Kandidaten. Systeme können sämtliche, passende Kandidaten auf fachliche Anforderungen hin ausspucken – sorry, „matchen“ heißt das. Auch Persönlichkeitsmerkmale, wie „extrovertiert“, „motivierend“ oder „diszipliniert“ werden mit der Zeit durch KI immer besser und genauer zuzuordnen sein. Das geschieht durch die Zusammenführung und Analyse aller zugänglichen Informationen über das Leben und Handeln eines Menschen. Facebook wird da sicher eine Fundgrube sein. Der gesamte Rekrutierungsprozess wird sich automatisieren, neue Algorithmen werden zu noch größerer Effizienz führen. Vorhersagewahrscheinlichkeiten wie etwa: „Wann ist der richtige Zeitpunkt, einen Kandidaten anzusprechen?“ „Wie gut wird er in die Firmenkultur passen?“ oder „Wie lange wird er im Unternehmen bleiben?“ werden noch präziser.

Doch die richtige Auswahl stößt dann an ihre Grenzen, wenn es um bestimmte Zielgruppen geht, etwa das Topmanagement und selten zu findende Experten, die oft digitale Skeptiker sind und wenig öffentlich von sich preisgeben. Der Personalberater, gern auch Headhunter genannt, bewegt sich eh meist im nicht-öffentlichen Bereich. Daher heißt es auch „verdeckter Stellen- oder Kandidatenmarkt“. Jeder Trend produziert einen Gegentrend. Im Falle der KI, deren DNA quasi die allwissende Transparenz ist, könnten Diskretion und Verschwiegenheit, eben die Nicht-Öffentlichkeit, sogar bedeutender werden als je zuvor.

Ein Headhunter pflegt Beziehungen, kennt Kandidaten und Kunden persönlich. Dabei erhält er nicht-öffentliche Informationen, er berät, entwickelt Lösungen, knüpft neue Vernetzungen. Das Finden nicht vorhersehbarer Lösungen mittels Kreativität, Intuition und Menschenkenntnis wird meiner Überzeugung nach nicht von einem Roboter geleistet werden können. Ich sag‘s mal so: Erst wenn vor mir der erste Roboter vor Scham rot wird und nervös eine Notlüge erfindet, um besser dazustehen –, dann hänge ich meinen Beruf an den Nagel.

Text: Iris Gordelik