Klasse für die Masse – Braucht der Kundendialog die schöne, neue Arbeitswelt?

8.30 Uhr: Latte Macchiato im Coffee Shop in Eppendorf. Dabei die ersten Mails checken, einige Rückrufe erledigen und die Agenda für das Video-Meeting am Vormittag vorbereiten. Videokonferenz aus der Lounge am Hauptbahnhof kurz vor der Fahrt nach Hannover zum Kunden. Danach im schnellen Zug zurück in die Zentrale, wichtige Memos schreiben. Dort Projektbesprechung im spacigen Innovation Center. Am Nachmittag endlich Ruhe in der Bibliothek für das nächste Konzept.

So schön und selbst bestimmt ist die Arbeitswelt, die als Mantra nicht erst seit der Eröffnung der Google-Zentrale in Berlin immer wieder beschrieben wird. Der süße Duft von Freiheit umweht diese Darstellung, scheint in den Büros bestimmend zu sein. Arbeit macht Spaß, Mitarbeiter entscheiden selbst, wann sie welche Leistung wie erbringen wollen. Fun und Freiheit sind im Wettbewerb um die besten Talente ausschlaggebend. Soweit, so gut.

Seitenwechsel

Bleiben wir in der Zukunft: Beim Versuch, die Hotline meiner Kreditkartenfirma anzurufen, lande ich erstmal beim Automaten, dann wenig später bei einem jungen Mann, der im Café sitzt. Nicht in Eppendorf, aber in Barmbek. Er checkt auf dem iPad schnell meinen Kontostand und bespricht mit mir meine (fehlende) Liquidität. Nebenbei bestellt er einen Eiskaffee und ein Stück vom hausgemachten Apfelkuchen („nach Omas Rezept“, wie ich höre). Auch das Gespräch seiner Tischnachbarn klingt interessant („Frühling ist die beste Jahreszeit für Lanzarote“), bringt mich mit meinem Kreditkartenproblem aber nicht wirklich weiter.

Sieht so die Zukunft derjenigen aus, die heute als „Call Center-Agents“ getaktet Kundenzufriedenheit auf der Basis von Leitfäden mit Sprech-Bausteinen erbringen müssen? Die Zukunft derjenigen, die heute zusammengepfercht auf kleinstem Raum mit dem lauten Ambiente einer Bahnhofshalle den ganzen Tag sitzen, sitzen und sitzen – schlechter bezahlt als eine Putzfrau (Entschuldigung: Gebäudereinigungsfachkraft)? Die Zukunft derjenigen, die manchmal lieber den Job gegen Hartz IV eintauschen, als sich diesem zermürbenden körperlichen und seelischen Stress aussetzen? Wohl kaum.

Sicher ist: Beide Szenarien sind keine Lösung für die Zukunft des Kundendialogs. Sicher ist aber auch: Ein „Weiter so“ ist zum Scheitern verurteilt – Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter werden rar und dabei selbstbewusster.

Die Servicewirtschaft muss sich neu aufstellen. Flucht aus der demografischen Falle Auf der einen Seiten steht der digitale Service in einer technisierten, kundengetriebenen Welt. Auf der anderen Seite steht eine arbeitende Bevölkerung, die anspruchsvoller und älter wird. Wie passt das zusammen? Sitzen wir künftig mit 70 im Servicecenter, betreuen Social Media-Kanäle und nebenbei unsere Enkelkinder? Wie muss die Arbeitswelt dialogstarker Teams in Zukunft aussehen – damit Unternehmen Mitarbeiter gewinnen und binden können, damit Mitarbeiter motiviert und energiegeladen einen wertschätzenden Kundendialog leisten und damit Service wirtschaftlich effizient bleibt?

Mit dem telefonischen Kundendialog sind auch seine Protagonisten gealtert: Das Durchschnittsalter ist heute längst nicht mehr Mitte 20, sondern eher Mitte 40. Tendenz steigend. Der jungen Generation Y sagt man nach, dass Arbeit nicht mehr der bestimmende Lebensinhalt ist, sondern Mittel zum Zweck. Zum Lebensunterhalt im wahrsten Sinn des Wortes. Und die Vereinbarkeit von Familie und Beruf wird zum KO-Kriterium. Concierge-Dienste, Kinderzimmer oder Kita-Fahrdienste halten Einzug in die Unternehmen. Es wird investiert, um Menschen zu gewinnen und zu halten.

Der neue Service

Damit diese Herausforderung von Rekrutierung, Bindung und Wirtschaftlichkeit bewältigt werden kann, braucht es ein neues Arbeitsprofil. Nicht mehr und nicht weniger. Der Auftragsabwickler ist Teil der Vergangenheit, dem Dialogentwickler gehört die Zukunft. Und das hat Folgen: Der Dialogentwickler beherrscht alle Kanäle, ist fachlich topfit, arbeitet eigenverantwortlich, hat und nutzt Entscheidungsspielräume. Der Dialogentwickler ist Partner im Gespräch mit dem Kunden und kooperativer und produktiver Akteur im eigenen Team. Der Dialogentwickler der Generation Y nutzt seine Freiheit dann vielleicht für die Bearbeitung von Chats in der Unternehmensbibliothek. Er weiß um das hohe Gut des Datenschutzes und würde den beschriebenen Call im Café in Barmbek gar nicht erst annehmen. Er entscheidet selbst über seine Arbeit, sein Arbeitsumfeld und seine zeitliche Disposition, weil er die wesentlichen Steuerungsdaten zur Verfügung hat und diese bewerten kann. Trotz der neuen Freiheiten bleiben Erreichbarkeit und Servicelevel gesichert.

Aufbruch: Es ist an der Zeit!

Zur neuen Freiheit gehört Transparenz – der Open Space als gemeinsamer Arbeitsraum ist der Standard dazu. Die Gestaltung unter der Berücksichtigung aller Gewerke rund um Licht, Luft und Raum sowie ihrer Wechselwirkungen definiert die HCD-Matrix, ebenfalls mittlerweile ein Standard für Planung und Gestaltung. Qualität braucht Raum – über den Arbeitsplatz hinaus. Ergonomie ist nur ein Teil der Gestaltung. Kommunikation und Konzentration müssen gleichermaßen gewährleistet sein. Dabei geht es nicht nur um Gestaltung und Einrichtung, sondern auch um Prozesse, Technikeinsatz und Führungskompetenz. Rückzugsbereiche, Fun-Areas, Recreation-Räume oder intelligente Bistro-Bereiche für den informellen Austausch sind ein Schritt in diese Richtung. Denn Ruhe ist planbar. Auch Zukunft ist planbar – mit viel mehr Freiheit für den Einzelnen.

Quelle HCD

Servicecenter können sich die Vorteile der schönen, neuen Arbeitswelt zu eigen machen. Kinderzimmer, Bibliothek als Rückzugsraum, Concierge-Dienste passen perfekt. Das Homeoffice wird aus Gründen der Markenidentität (die der einzelne Mitarbeiter mit jeder Kommunikation vermitteln soll) und aus Gründen des Datenschutzes kaum zur dauerhaften Lösung. Aber wohnortnahe Satelliten-Büros in ländlichen Regionen kön- nen die Arbeit zum (Teilzeit-)Mitarbeiter bringen, erleichtern die Kombination von Beruf und Familie durch kurze Wege zu Schulen und Kitas und leisten letztlich auch einen aktiven Beitrag für weniger CO2-Ausstoß. Der Arbeitgeber wird zum Entfesselungskünstler

Wenn alle diese Schritte in der richtigen Reihenfolge und mit der notwendigen Konsequenz gegangen werden, entsteht ein neues Arbeitsprofil eines teilautonomen Service- und Dialogentwicklers, dessen hohes Ziel die Zufriedenheit seiner Kunden ist. Ein Job, der Spaß macht, sich perfekt mit Privatem vereinbaren lässt und anspruchsvoll dienend ist. Wer dafür die richtigen Rahmenbedingungen vom Arbeitsplatz bis zum Führungskonzept und hin zu Kennzahlensystemen schafft, wird echte Markenbotschafter gewinnen, die mit Leidenschaft ihrer Aufgabe nachgehen. Diese Leidenschaft zu entfesseln ist das Gebot der Stunde.

Einige Beispiele zeigen eindrücklich, dass dieser Weg funktioniert und die richtigen Mitarbeiter ihren Weg in die richtigen Unternehmen finden. Ganz ohne hohen Rekrutierungsaufwand.

Freiheit rechnet sich

Doch es sind nicht nur die Rekrutierungskosten, die angesichts einer starken und attraktiven Arbeitgebermarke, perfekter Arbeitsbedingungen und einem ausgewogenen Zusammenspiel von Freiheit und Verantwortung für dieses Konzept sprechen. Ganzheitlich geplant und realisiert machen sich die Veränderungen schon bei den Facility-Management- Kosten deutlich bemerkbar. Außerdem sinken Krankheitstage und Fluktuation. Dass auch Prozessfehler weniger werden und die Kundenzufriedenheit durch die neue Dialogqualität steigt, sind weitere Argumente für das Controlling.

Es bleibt dabei: Die Arbeitswelt wird sich ändern. Das fordern die jungen Generationen notfalls mit den Füßen ein. Wer heute agiert und sich mit Augenmaß vorbereitet, führt diesen Wandel an. Die Chance ist da. Nutzen wir sie!

von Sandra und Michael Stüve

Sandra und Michael Stüve sind Gründer und Inhaber der HCD Human CallCenter Design Planungsgesellschaft in Münster. Die HCD gestaltet seit über 15 Jahren Arbeitswelten für kundenorientierte Service-Unternehmen, die Mitarbeitergesundheit erhalten, Teammotivation fördern und Wirtschaftlichkeit bei Bau und Betrieb garantieren. Die Planungen berücksichtigen die speziellen Bedarfe jeder Generation. Die Planer begleiten Bauherren von der Immobiliensuche über Planung, Bau oder Ausbau bis zum Akzeptanzmarketing zu Beginn der Nutzung. www.hcd-gmbh.de

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