Wenn sie systematisch angepackt werden, machen Konflikte Unternehmen kreativer, besser, produktiver und attraktiver. Sagt Jürgen Briem, und der ist absoluter Profi in Sachen Konfliktmanagement. Der SAP-Mann hat in den vergangenen zehn Jahren dafür gesorgt, dass das Thema in deutschen Unternehmen an Relevanz gewonnen hat.
Herr Briem, Sie sind Master of Mediation, haben bei SAP ein Konfliktmanagementsystem eingeführt und sind Chef des weltweiten SAP- Mediatorenpools. Kann man sich mit Ihnen noch ordentlich streiten?
Jürgen Briem: Oh ja, da fragen Sie mal meine Frau! Es ist etwas fundamental anderes, ob Sie an einem Konflikt emotional beteiligt sind oder nicht.
Grundsätzlich halten Sie Konflikte für etwas Gutes, oder?
Jürgen Briem: SAP wäre nicht, was es heute ist, wenn es keine Konflikte gegeben hätte. Ein Konflikt ist immer eine Chance zur Verbesserung. Wenn alles harmonisch läuft, schläft die Kreativität ein. Ideen zu diskutieren, sich auszutauschen, fördert die Kreativität. Für uns ist es wichtig, Dispute richtig auszutragen ¬ auf der sachlichen Ebene. Werden Konflikte auf der persönlichen Ebene ausgetragen, werden sie destruktiv. Es geht auch darum zu akzeptieren, dass es völlig in Ordnung ist, wenn einer eine andere Meinung hat. Wenn Kollegen einen Streit mithilfe einer Mediation beilegen können, sind sie hinterher oft so produktiv wie nie zuvor. Die gute Botschaft zum Thema Konfliktmanagement lautet: Wenn man die Energie, die in Konflikte fließt, richtig nutzt, hat das sehr positive Auswirkungen.
Wie sind Sie eigentlich Master of Mediation geworden?
Jürgen Briem: Ich habe früher erst in der Softwareentwicklung gearbeitet und bin dann in den Vertrieb gewechselt. Zu SAP kam ich 1999 und war dort gleich im Vertrieb tätig. Da hatte ich es mit vielen Leuten zu tun und habe sehr viel verhandelt. Verhandeln ist dann einfach, wenn beide Parteien dasselbe wollen. Was aber, wenn nicht? Da Konfliktmanagement ein Bestandteil des Verhandlungsmanagements ist, habe ich vor gut zehn Jahren entschieden, mich damit zu befassen. Und zwar richtig, also nicht in irgendeinem Wochenendkurs im Allgäu oder an der Nordsee. Ich wollte sicher sein, dass ich etwas Vernünftiges lerne, und habe deshalb den Masterstudiengang Mediation an der Fernuni Hagen absolviert.
Und … würden Sie diese Ausbildung empfehlen?
Jürgen Briem: Ich habe das nebenberuflich gemacht, drei Jahre lang. Das war eine hohe zeitliche Belastung und schon auch eine Tortur. Aber es hat sich gelohnt!
Wie hat denn Ihr Arbeitgeber reagiert?
Jürgen Briem: Wer SAP kennt, weiß, dass wir sehr innovativ sind und die Mitarbeiter viele Freiheiten haben. Ich habe mich im Jahr 2006 mit einer Kollegin zusammengetan und wir haben sieben, acht Leute im Konzern zusammengetrommelt, die alle eine Mediationsausbildung hatten. Uns war immer wichtig, Mediation nicht als Insel einzuführen. Wir sind keine Missionare, es braucht eine Systematisierung des Konfliktmanagements. Seit dem 1. Januar 2009 kümmere ich mich Vollzeit um das Thema und konnte bei SAP verankern, dass wir mit Konflikten anders umgehen. Jeder Konflikt muss an die Stelle kommen, an der er am besten gelöst werden kann. Das kann der Betriebsrat sein oder ein Personaler, ein Coach oder die Rechtsabteilung, ein Mediator oder ein Gesundheitsberater. Wir nutzen jeweils die Stärken, die die unterschiedlichen Konfliktlösungsstellen haben.
SAP ist ein weltweit agierender Konzern. Unterscheiden sich Konflikte bei – sagen wir mal – SAP im indischen Bangalore von denen in Walldorf?
Jürgen Briem: Wir sind alle Menschen. Menschen funktionieren überall gleich. Wir sind im Handeln bedürfnisorientiert, nur die Ausprägung ist in verschiedenen Kulturen ein wenig unterschiedlich. Letztlich sind Konflikte weltweit häufig dieselben.
„SAP WÄRE NICHT, WAS ES HEUTE IST, WENN ES KEINE KONFLIKTE GEGEBEN HÄTTE.“
Welche Konflikte lassen sich durch Mediation lösen?
Jürgen Briem: Es gibt in Unternehmen unterschiedliche Formen von Konflikten, weshalb es gut ist, verschiedene Konfliktlösungsstellen zu haben. Es gibt beispielsweise Ressourcenkonflikte, hierarchische Konflikte, Konflikte nach einer Reorganisation oder Beziehungskonflikte. Gerade Beziehungskonflikte – etwa wenn Kollegen zerstritten sind und das emotional ausleben – sind oft mit Mediation lösbar. Da versuchen wir, die Ratio auszuschalten und auf Emotion zu zielen. Voraussetzung für eine Mediation ist immer, dass alle Beteiligten eine Lösung wollen. Die Verantwortung, dass der Konflikt gelöst wird, liegt bei den Konfliktpartnern beziehungsweise bei deren Vorgesetzten und nicht bei den Mediatoren. Mediatoren begleiten nur, Lösungen finden die Konfliktparteien. Eine weitere zwingende Voraussetzung fürs Gelingen: Die Mediation muss ergebnisoffen sein. Die erste Frage lautet: Worum geht es den Beteiligten? Oft kommen dann zunächst mal Beschuldigungen, in denen es zum Beispiel heißt „Der Kollege macht mich fertig“ oder „Ich werde gemobbt“. Die Aufgabe der Mediatoren ist es, die Emotion in den richtigen Kanal zu leiten. Es geht erst einmal darum, die unterschiedlichen Sichtweisen in den Raum zu stellen. Es kommt zu sehr interessanten Reaktionen, wenn der eine dem anderen zuhört. Die zweite Frage lautet: Welche Bedürfnisse haben die Beteiligten? Geht es um Anerkennung, um Respekt, um Zugehörigkeit? Im dritten Schritt wird überlegt, wie die Bedürfnisse beider gestillt werden können. Das läuft über die Gefühlsebene und kostet Zeit. Aber es kommt immer etwas dabei heraus. Zum Schluss treffen die beiden Konfliktparteien eine Vereinbarung.
Halten sich die Kontrahenten in der Regel an die getroffenen Vereinbarungen oder fallen sie in alte Muster zurück, sobald der Mediator wieder weg ist?
Jürgen Briem: Nach zwei, drei Wochen oder auch zwei, drei Monaten kommen wir zu einer Nachsorge und prüfen, ob alles funktioniert oder ob sich vielleicht neue Streitpunkte ergeben haben. Wir haben eine extrem hohe Erfolgsquote, was auch daran liegt, dass wir sehr darauf achten, dass nur dann eine Vereinbarung getroffen wird, wenn die Mediatoren das Gefühl haben, dass die Leute ihr Verhalten tatsächlich ändern wollen. Deshalb legt SAP sehr großen Wert auf die Qualität ihrer Mediatoren.
Sollten Führungskräfte Mediation lernen?
Jürgen Briem: Bei uns sind viele Führungskräfte Mediatoren. Ein mediativer Führungsstil ist ein nachweislich besserer Führungsstil, er ist kooperativ statt konfrontativ. Natürlich müssen auch mediativ führende Manager Entscheidungen treffen. Die Frage ist aber immer, wie Entscheidungen kommuniziert werden – nach dem Motto „Ober schlägt Unter“ – oder nimmt die Führungskraft die Menschen mit, erklärt die Entscheidung und deren Ziele?
Was meinen Sie: Werden Mediation und Konfliktmanagement in deutschen Unternehmen künftig einen höheren Stellenwert haben als bisher?
Jürgen Briem: Ja, das wird relevanter werden und Teil der strategischen Ausrichtung. Schon aus einem einfachem Grund: Heutzutage ist Geld nicht mehr alles, das Umfeld muss stimmen und die Menschen wollen kreativ sein können. Wer geht schon gern in eine konfliktträchtige Firma? Die Mitarbeiter, die bei uns neu anfangen, kommen auch deshalb, weil SAP ein Konfliktmanagement pflegt und damit eine andere Kultur hat als viele andere Unternehmen. Bei uns wissen die Mitarbeiter, dass sie auch in schwierigen Situationen Unterstützung bekommen.
Apropos schwierige Situation: Ist es nicht manchmal nervenraubend, immer nur mit Streit und Konflikten zu tun zu haben?
Jürgen Briem: Als Mediator muss man schon altruistisch veranlagt sein und darf nicht auf Dank hoffen. Wobei der Dank oft von den Medianten ausgesprochen wird. Dann kommt er aber von selbst und wird nicht eingefordert. Sich nur mit Konfliktfällen zu befassen hält keiner aus. Wir machen deshalb auch viel Prophylaxe: Es gibt Veranstaltungen und Gespräche, in denen es darum geht, wie Menschen anders miteinander umgehen und somit besser leben – das ist schön und macht viel Spaß.
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