Scheitern, laut Duden ein schwaches Verb. Und dies bietet der Duden uns als Synonyme an:
- Bankrott machen, eine Abfuhr erhalten, keinen Erfolg haben, sich nicht durchsetzen können, Schiffbruch erleiden, sein Ziel nicht erreichen, stolpern, straucheln, versagen, zu Fall kommen; (gehoben) keinen Zuspruch finden, stranden; (umgangssprachlich) auf den Bauch fallen, auf der Strecke bleiben; (salopp) auf die Schnauze fallen, baden gehen, einbrechen
- danebengeraten, eine Schlappe erleiden, fehlschlagen, missglücken, misslingen, missraten; (schweizerisch) fehlen; (umgangssprachlich) auflaufen, danebengehen, floppen, hochgehen, ins Auge gehen, platzen, schiefgehen, sich zerschlagen; (salopp) in die Hose gehen; (scherzhaft) verunglücken
Das klingt nicht nach Spaß und Tatsache scheint: Keiner will wirklich scheitern, jeder wünscht sich den Erfolg. Dabei wird gerne vergessen, dass Scheitern und Erfolg ein Gegensatzpaar sind, das sich unmittelbar bedingt: Erfolg ist, wenn etwas gelingt, das auch scheitern könnte. Und wenn ich Erfolg mag, kaufe ich das Scheitern immer auch ein bisschen mit ein.
Dieser einseitige Fokus ist nicht wirklich erstaunlich, denn Erfolg ist sexy, wir genießen ihn, wir arbeiten darauf hin und er soll bitte auch möglichst ungetrübt sein. Im Beruf, in der Beziehung, im Freundeskreis und bei der Selbstoptimierung sind die Ansprüche hoch.
In diesen Zeiten der gnadenlosen Selbstvermarktung kann man im Notfall auch ein bisschen nachhelfen, mit Photoshop und in den sozialen Netzwerken. Am Ende ist der Erfolg dann das glatt gebügelte, falten- und makellose Abziehbild einer Beziehung, des beruflichen Erfolgs, des ewig gut gelaunten, immer auf Achse befindlichen Global Citizen. Der alles ist – nur nicht gescheitert.
Schon beim Schreiben dieser Zeilen merke ich, wie langweilig das doch ist. Facebook, Instagram, Snapchat und Co sind voll davon, von den konventionellen Medien ganz zu schweigen. Und die Erfolgsgeschichten, die uns jeden Tag frei Haus geliefert werden, sind ungefähr so spannend wie die Speisekarte einer Currywurstbude. Nicht, dass man nicht viel zu oft Heißhunger darauf hätte, aber überraschend oder inspirierend ist das nicht.
Es wird Zeit, das Scheitern mal auf eine Tasse Kaffee einzuladen und ins Gespräch zu kommen …
Scheitern, Du unliebsamer Zeitgenosse, wozu braucht es Dich? Du bist nur das Nachtschattengewächs des strahlenden Sonnenscheins Erfolg, was ist Deine Aufgabe? Außer Verlust, Niederlagen, Schmerzen, Narben, in Zeiten, in denen makellose Schönheit gefordert ist …
Waren es nicht genau die schmerzhaften Momente, die uns gezwungen haben, uns neu zu erfinden? Waren es nicht die Schmerzen, die uns bewegt haben, etwas anders und oft sogar besser zu machen? Waren es nicht die Verluste, die wir als Menschen erlitten haben, die uns zu achtsameren Menschen gemacht haben? Waren es also nicht genau die Momente, in denen wir krachend gescheitert sind, die uns am weitesten gebracht haben? Scheitern ist nicht dauerhaft, Scheitern ist ein Moment, eine Einsicht, eine Situation. Ist nicht diese Erkenntnis des Scheiterns der Motor des Lebens, der uns Erfolg erst ermöglicht?
Lass es uns mal nicht übertreiben. Ich kenne kein Denkmal von gescheiterten Menschen. Sieger schreiben Geschichte und Sieger sind immer die Erfolgreichen. So eine coole Nummer bist Du also nicht. Bilde Dir bloß nicht ein, wir werden jetzt Freunde, nur weil Du mich das eine oder andere Mal weitergebracht hast. Keiner mag Dich, keiner will Dich und keiner lädt Dich ein. Also vergiss Deine blöde Anbiederei und bleib mir fern.
Aber je länger ich darüber nachdenke, desto stiller werde ich. Alles in mir wehrt sich, das Scheitern als fundamentalen Teil meines Lebens zu akzeptieren. Also biete ich einen Deal an:
Okay, das war vielleicht ein bisschen ungerecht, ich wäre bereit für einen Kompromiss: Ein bisschen scheitern würde ich ab und an akzeptieren. So, dass es nicht so weh tut, und so, dass es vor allem keiner merkt. Nach außen muss ich alles unter Kontrolle haben, dann könnte ich eventuell damit umgehen, dass Du auch ab und an eine Rolle in meinem Leben spielst.
Das klingt ein bisschen nach fake failure, mein Freund. Auch den Ablasshandel gibt es schon lange nicht mehr. Und wer an „Scheitern light“ glaubt, glaubt auch an Ausnahmeregeln und Brennholzverleih …
Und genau in diesem Moment habe ich gemerkt, dass ich auf einem Holzweg bin. Der Kaffee war längst getrunken und das Zwiegespräch mit dem Scheitern endete in Gelächter. Und das ist vielleicht der größte Unterschied zwischen Erfolg und Scheitern.
Erfolg kann man so einfach faken, ja, es ist sogar völlig okay, ein bisschen dick aufzutragen. Die glückliche Beziehung auf Facebook aufrechtzuerhalten, selbst wenn es schon knirscht. Ein richtig cooler Titel ist zumindest im Lebenslauf eine Trophäe, auf dem Visitenkärtchen allemal.
Die junge Genration spricht gerne mal vom „famous for a minute success“. Übersetzt in die Werbesprache: „Heute ein König“ – na dann Prost. Werbung kann Erfolg, Hollywood kann Erfolg, alles und jeder kann Erfolg. Erfolg ist inflationär.
Denn egal wie schlecht das Image des Scheiterns auch sein mag, es ist ehrlich, es ist authentisch, es ist rau, es sind echte Gefühle. Wir sprechen gerne in der modernen zivilisierten Welt von der unbändigen Kraft der Natur. Diese Kraft kann ein Scheitern auch entfalten, und so wie ein ausbrechender Vulkan alles zerstören kann, so ist die Lavaerde eine der fruchtbarsten Bodenarten, die man sich vorstellen kann.
Es ist also wie so oft im Leben, ich kann ein Scheitern nicht vermeiden, wenn ich mich entscheide zu leben, aber ich kann daraus die größten Erfolge machen. Die echten Erfolge.
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