Es herrscht eine Mischung aus konzentrierter Arbeits- und lockerer Caféhausatmosphäre: Gut drei Dutzend Menschen sitzen allein oder in Grüppchen vor ihren Rechnern, die drei ineinander übergehenden Räume sind hoch und weiß und licht, große Fenster und viel Holz dominieren, an der hinteren Wand befindet sich eine Küchenzeile. Es herrscht Großraumbürolautstärke. Das im Jahr 2010 gegründete betahaus Hamburg, eine Schwesterfirma des Originals in Berlin, liegt direkt neben der Schilleroper zwischen St. Pauli und Schanzenviertel. Es bietet 44 Arbeitsplätze mit Schreibtisch, Internetzugang, Drucker und allem zipp und zapp. Man kann die Arbeitsplätze für einen Tag, ein paar Tage im Monat oder den ganzen Monat mieten, bei Bedarf mit Nachtzugang, Rollcontainer und Postfach. Wer mag, nimmt montags am gemeinsamen Mittagessen teil und frühstückt donnerstags mit den anderen Coworkern. Ruben Schmidtmann führt hier seit gut einem Jahr die Geschäfte. Er hat heute auch Thekendienst, denn das betahaus Hamburg muss dringend auf die Kosten gucken: Im Sommer meldete der erste Coworking-Space der Hansestadt Insolvenz an.
Herr Schmidtmann, warum die Insolvenz?
Ruben Schmidtmann: Wir haben zu wenig Platz – alle kleinen Coworking- Spaces haben Probleme. Wir haben hier im Moment 300 Quadratmeter. Coworking-Spaces rechnen sich aber erst ab 1.000 Quadratmetern. Wir können hier unser Potenzial nicht ausschöpfen, weshalb wir jetzt gerade mit Investoren sprechen und mit Glück auf eine größere Fläche umziehen.
Wieso rechnen sich kleine Flächen nicht?
Ruben Schmidtmann: Coworking- Spaces finanzieren sich immer über mehrere Quellen: Arbeitsplatzvermietung, Gastronomie, Vermietung von Event- und Kongressflächen, Workshops und Beratung von großen Unternehmen. Wir können hier zum Beispiel tagsüber keine Eventflächen vermieten. Außerdem möchten viele Teams einen abgetrennten Raum, den sie je nach gusto mal komplett öffnen können. Da ticken die Hamburger übrigens anders als die Berliner: Sogar die Selbstständigen wollen hier gern abgetrennte Räume. Wir wollen genau das anbieten, was unsere Hamburger Kunden wollen: offene und abgetrennte Flächen, Eventflächen und Seminarräume. Auch ein abgetrenntes Café ist wichtig, weil es mehr Umsatz generiert. Im Moment haben wir zum Beispiel nur eine Kaffeemaschine mit Kaffeepads, weil eine professionelle Maschine zu laut wäre und die Leute bei der Arbeit stören würde.
Was sind das für Leute, die hier arbeiten?
Ruben Schmidtmann: Grafiker, Programmierer, Web-Designer, Online-Marketer, auch Journalisten und wir haben auch einen Juristen – die Mischung macht’s. Meist sind es die klassischen Selbstständigen, die nicht zuhause arbeiten wollen oder können und sehr flexibel sein möchten.
„Coworking-Spaces sind offen zugängliche, kollaborative und flexibel nutzbare Arbeitsräume für Selbstständige, Freischaffende und all diejenigen, die selbst entscheiden können, an welchem Ort und mit wem sie zusammenarbeiten.“
Quelle: hamburg.betahaus.de
Wie alt ist denn die Coworking-Klientel?
Ruben Schmidtmann: Im Schnitt zwischen 25 und 40 Jahre. Wenn sie älter sind, werden sie erfolgreicher und dann sind sie weg. Wir vermieten hier ja nicht nur Arbeitsplätze, sondern bieten ein soziales Netzwerk, den Kontakt zu anderen Menschen. Der Klassiker: Du bist Programmierer und brauchst einen Designer. Im betahaus gehst du einfach an den Nachbartisch, daraus entsteht dann eine kleine Firma, die irgendwann größer wird, und dann zieht diese Firma irgendwann aus. Wir haben das gerade im Februar gehabt: Da ist ein achtköpfiges Team ausgezogen, das sich hier gefunden und täglich hier gearbeitet hat. Es ist schwierig, schnell einen Ersatz für acht Leute zu finden – zumal diejenigen, die zum Beispiel ein drei Monate gültiges 10er-Ticket haben, viel weniger trinken.
Es ist strahlendes Sommerwetter, wir sitzen draußen vor dem betahaus auf Papphockern in der Sonne. Ruben muss mal kurz Getränke ausschenken. Julia, Anfang 40, die als freie Mitarbeiterin für eine Hamburger Behörde arbeitet und dies seit eineinhalb Jahren vom betahaus aus tut, gesellt sich zu mir.
Julia, warum arbeitest Du hier im betahaus und nicht zuhause?
Julia: Die Arbeitsmoral ist hier besser. Alle haben richtig Bock auf das, was sie tun. Wenn man hier alle fleißig in die Tasten hauen sieht, dann motiviert das. Zuhause habe ich manchmal bis 17 Uhr im Schlafanzug am Rechner gesessen. Hier herrscht eine soziale Kontrolle – ich käme hier zum Beispiel nicht auf die Idee, stundenlang auf der Website von H&M nach Sonderangeboten zu gucken. Außerdem ist man zuhause immer verfügbar und alle glauben, man dürfte ständig gestört werden. Wenn man sagt „Ich bin im Büro“, dann passiert das nicht. Und der kommunikative Faktor ist enorm wichtig. Hier entstehen Freundschaften – und man hat hier für jedes Problem einen Ansprechpartner.
Ruben kommt zurück, Julia geht wieder an ihre Arbeit.
Sie gehören der Generation Y an. Was meinen Sie: Wird sich die Arbeitswelt ändern?
Ruben Schmidtmann: Sie wird sich verändern, das ist sicher. Es wird viel mehr kleine Firmen geben und weniger Riesen, weil die zu unflexibel sind. Wir sehen das an allen Ecken und Enden bei unseren Seminaren: In den Strukturen, die viele Unternehmen in Deutschland haben, ist Innovation nicht möglich. Diese Unternehmen werden ein Problem haben. Und der Mittelstand muss sich fragen, wie er die High Potentials gewinnen kann. Schon weil Unternehmen tiefer in die Tasche greifen müssen, wird sich die Arbeitswelt verändern. Auch unsere Anforderungen an Kommunikation und Transparenz sind ganz andere. In Dänemark weiß zum Beispiel jeder, wie viel der Nachbar verdient – bei uns ist es verboten, darüber zu sprechen. Zusätzlich verändert die Internationalisierung unsere Arbeitswelt, Englisch wird sich als Unternehmenssprache durchsetzen. Gerade kommen top-ausgebildete Spanier auf den Markt. Deutschland wird leerer werden, in 50 Jahren sind wir noch 70 Millionen – es wird weniger High Potentials geben, der Kampf wird härter. Eine entscheidende Frage lautet außerdem: Wie kriegen Unternehmen Mitarbeiter dazu, sich aktiv zu beteiligen? Man muss sich ja auch mal fragen, was es eigentlich für eine Volkswirtschaft bedeutet, wenn 87 Prozent der Angestellten innerlich gekündigt haben … Lösungsansätze gibt es: Das Unternehmen Freitag hat zum Beispiel die Mitarbeiter in 150-Mann-Einheiten aufgeteilt. Jede Kohorte ist für ein Produkt zuständig, es gibt kein zentrales Marketing, eine zentrale Sales-Abteilung et cetera. Oder nehmen wir Apple: Bei Apple ist jeder Mitarbeiter ein Experte, entsprechend werden Teams eingeteilt. Apple arbeitet komplett projektorientiert. Zum Vergleich: Bei Unternehmen wie Otto kriegen viele Mitarbeiter schon ein Problem, wenn die Software umgestellt wird. Statt 15 werden wir bald nur noch zwei oder drei Hierarchiestufen haben. Was wegfällt ist, dass man für seine Tätigkeit einen Namen hat, zum Beispiel „Abteilungsleiter“. Das ist schwierig in Deutschland.
Sie bieten ja nicht nur Gründern und Start-ups, sondern auch großen Firmen Seminare und Workshops an. Worum geht es?
Ruben Schmidtmann: Viele große Unternehmen interessieren sich für das betahaus. Wir haben zum Beispiel mit Otto eine Kooperation zum Thema Innovation. Auch die Führungsriege von Immoscout war schon hier, um neue Ideen zu bekommen. Oft sind große Unternehmen zu langsam und zu wenig innovativ, dafür suchen sie eine Lösung. Viele wissen zwar, dass das Internet die Gesellschaft verändert, wissen aber nicht wie und welche Technologie auf sie zukommt. Was passiert, wenn immer mehr Menschen Smartphones nutzen? Oder: Wie verändern 3-D-Drucker unsere Wirtschaft?
Kurz eingehakt: Wie verändern denn 3-D-Drucker unsere Wirtschaft?
Ruben Schmidtmann: Es ist eine Frage von vielleicht einem Jahr, bis mit 3-D-Druckern verkaufsfähige Produkte produziert werden können. Das bringt Probleme mit dem Urheberrecht, aber auch mit Geschäftsmodellen. Diese Entwicklung wird ganz viele Branchen betreffen, zum Beispiel die Hersteller von Handyhüllen oder von Knöpfen oder Lichtschaltern. Erstmal werden nur Produkte aus Kunststoff hergestellt werden können, später auch aus Glas und Keramik. Auch Sharing ist so ein heißes Thema; Sharing sorgt zum Beispiel dafür, dass aus Automobilherstellern Mobilitätsanbieter werden. Wir machen viele Seminare zu solchen Themen, denn wir sind international vernetzt, beschäftigen uns ständig damit und können über unser Netzwerk schnell die richtigen Leute für Impulsvorträge organisieren.
Sie könnten wahrscheinlich in Unternehmen mehr Geld verdienen als hier. Warum arbeiten Sie fürs betahaus?
Ruben Schmidtmann: Weil ich – wie alle Betreiber von Coworking-Spaces – einen coolen Arbeitsplatz haben will.
Ruben Schmidtmann ist Geschäftsführer vom betahaus Hamburg. Der 28-jährige Berliner hat Betriebswirtschaft in Ilmenau und Tallinn studiert, war im Jahr 2004 Mitgründer der Eventtechnologie-Firma Lautwerfer und hat später unter anderem als Projektmanager bei Airbnb gearbeitet. Er fühlt sich, sagt er, überall dort zuhause, wo es eine Steckdose und hervorragenden Kaffee gibt. www.hamburg.betahaus.de
Das Interview führte Vera Hermes
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