Prognosen – Wie das Arbeiten im Homeoffice … verändert

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Wie das Arbeiten im Homeoffice

– unsere Städte verändert

Wer zu Hause arbeitet, geht in der Mittagspause in aller Regel nicht essen, flaniert nach Feierabend nicht durch die City und lässt sich zu Impulskäufen allenfalls im World Wide Web verleiten. Er oder sie verstopft weder mit dem Auto die Ein- oder Ausfallstraßen noch drängelt er oder sie sich in der Rush Hour – ob es die künftig noch geben wird? – in Bussen und Bahnen. Während die Nachfrage nach größerem Wohnraum steigt, weil viele Menschen gern mehr Platz für ein vernünftiges Homeoffice haben möchten, sinkt der Preis von Einzelhandelsimmobilien.

Seit Pandemieausbruch zieht es mehr Menschen aufs Land – und sie suchen sich ihr Idyll nicht mehr entlang der schnellsten Verkehrswege, sondern des besten Breitbandnetzes. Coworking-Spaces – bislang eine Domäne urbaner Freelance-Hipster – etablieren sich jetzt in Dörfern und Ferienregionen.

„Wollten die Menschen früher arbeitsnah wohnen, bevorzugten sie heute wohnungsnahes Arbeiten (…). Orientiert an Beispielen aus Asien oder Frankreich wachse auch in Deutschland der Trend zu Urban Villages, gemischten Wohn- und Arbeitsquartieren am Rande großer Städte“, zitiert die Tagesschau die Immobilienexpertin Marion Peyinghaus.

Werden in den Innenstädten also künftig neben Kaufhäusern, Einkaufszentren und kleinen Läden auch reihenweise Bürogebäude leer stehen? Nein, sagt Expertin Peyinghaus. Sie warnt davor, Homeoffice eins zu eins mit Flächeneinsparung gleichzusetzen, und hält eine Einsparung von acht bis zwölf Prozent gegenüber heute für realistisch.

Andere Branchenkenner gehen indes davon aus, künftig werde ein Drittel weniger Bürofläche gebraucht. Was aber nicht unbedingt heißt, dass die Unternehmen diese Fläche einsparen. Siemens beispielsweise plant in seinem teuren neuen Campus in Erlangen, Flächen umzugestalten: Weniger Schreibtische, mehr Platz für Besprechungen, lautet die Devise für das kommende Zeitalter des flexiblen Arbeitens.

Höchstwahrscheinlich indes bleibt: Künftig werden weniger Menschen wegen ihres Jobs morgens in die Innenstädte pilgern und abends wieder hinaus. Die Citys werden also leerer sein, wenn nichts geschieht. Nach Ladenschluss sind sie vielerorts schon heute mausetot, weil dort schlicht niemand wohnt.

Also ist „Umgestaltung“ auch das Stichwort der Stunde, wenn es um Innenstädte geht: In vielen Städten wird derzeit fieberhaft an neuen Nutzungskonzepten gearbeitet, die Handel, Gastronomie, Kultur, Arbeiten und Wohnen, Verwaltung, Ärzte, Schulen, Kitas und Fitnesscenter vereinen. Insbesondere in mittelgroßen Städten ist in den vergangenen Jahren schon viel geschehen: Kaufhäuser werden zu Wohnhäusern (Münster), zum Altersheim (Rendsburg), zum Museum (Chemnitz), zum Theater (Neuss) oder zu vielfältig genutzten Flächen (Oldenburg oder Gelsenkirchen). Die Corona-Pandemie verschärfte die Situation der verwaisten Innenstädte, und die Großen ziehen nach: In Paris verhilft die Wirtschaftsförderung Kleinstgewerbe zu Ladenflächen, in Hamburg wird der Jungfernstieg für Autos gesperrt, Berlin richtet etliche Spielstraßen und „Bike-Lanes“ ein. Kurzum: Das Arbeiten im Homeoffice verändert unsere Innenstädte, denn die Menschen haben keinen Grund, sie zu besuchen, wenn der Handel ins Internet abgewandert und die Städte nicht lebenswerter, grüner, abwechslungsreicher, belebter, bewohnbar, freundlicher und attraktiver werden. Das ist – sofern man nicht im Stationärhandel zu Hause ist – eine gute Nachricht.

– die Geburtenrate beeinflusst

… ist noch nicht ausgemacht: „Von Januar bis September 2020 wurden in Deutschland 580.342 Kinder geboren. Das waren 6.155 beziehungsweise rund 1 Prozent weniger als im gleichen Zeitraum des Vorjahres. Ob sich die Corona-Pandemie auf das Geburtenverhalten der Bevölkerung auswirkt, wird frühestens erkennbar, wenn die Geburtenauszählung der Monate Dezember 2020 bis Februar 2021 vorliegt.“

Quelle: Statistisches Bundesamt

– den Markt der Büroimmobilien tangiert

… erklären Experten so: „Im Gegensatz zu den stärker betroffenen prekär Beschäftigten und Selbstständigen wird die Mehrzahl der Bürobeschäftigten auch nach der Krise weiterhin in Anstellung sein. Schon in der Wirtschafts- und Finanzkrise 2008/09 hat sich die Kurzarbeit als wirksames Mittel gegen Arbeitsplatzabbau bei den Angestelltenverhältnissen erwiesen. In der jetzigen Krise wirkt die noch weitgehendere Ausgestaltung zusätzlich absichernd. Ein einschneidender Nachfrageeinbruch aufgrund rückläufiger Beschäftigung im Bürobereich ist derzeit nicht zu erwarten. Das Umfeld aus zum Teil staatlich stabilisierter Nachfrage auf der Bürobeschäftigtenseite und aus einem eher sehr moderat gegenüber ursprünglichen Planungen reduzierten Angebot an neuen Büroflächen bedingt weiterhin niedrige Leerstandsraten und stimuliert auch die marktüblichen Büromieten.

bulwiengesa (ein Analyseunternehmen der Immobilienbranche, Anm. d. Red.) geht daher in den A- und B-Städten von einer Seitwärtsbewegung aus. Für die zukünftige Nachfrage ist sowohl die Anzahl an Bürobeschäftigten als auch der Flächenverbrauch pro Kopf relevant. Hier gibt es zwei gegensätzliche Entwicklungen: Zum einen steigt die Relevanz von Homeoffice-Regelungen in der Arbeitsorganisation, was den Verbrauch grundsätzlich reduzieren kann. Auf der anderen Seite werden neue Arbeitsplatzkonzepte mehr Abstand zwischen den Beschäftigten vorsehen, unter anderem um hygienische Standards einzuhalten. Ein relevanter Anteil dieses Zusatzbedarfes wird aber vorerst durch eine Ausweitung der Homeoffice-Regelungen aufgefangen werden.

Erhebungen und Diskussionsbeiträge zum Homeoffice-Trend gehen derzeit davon aus, dass gegenüber dem durchschnittlichen Büroflächenbedarf von 2019 rund 10 Prozent weniger Büroflächen benötigt werden. Für den deutschen Büroimmobilienmarkt war bisher aber entscheidender, wie stark die Bürobeschäftigung zu- oder abnahm. In den A-Städten sank die Bürofläche pro Kopf von 2006 bis 2019 von 27 Quadratmeter auf zuletzt 25 Quadratmeter, gleichzeitig stieg die Zahl der Bürobeschäftigten um rund zwei Millionen in Deutschland. Diesem Effekt ist eine größere Hebelwirkung für den Immobilienmarkt zuzuschreiben als etwa Details in der branchenabhängigen Arbeitsorganisation. Flexible Workspaces stehen vor großen Herausforderungen und zeigen Anzeichen von über-durchschnittlichen Risiken in der aktuellen Rezessionsphase (so zielen Coworking Spaces auf Start-ups und Freelancer, die von der Corona-Krise hart getroffen sind). Als umsatzhemmend kann sich herausstellen, dass der Trend moderner Arbeitsplatzkonzepte in Richtung eines höheren Flächenverbrauchs pro Arbeitsplatz gehen dürfte.“

Quelle: Herbstgutachten Immobilienwirtschaft 2020, ZIA Zentraler Immobilien Ausschuss e. V.

– sich auf die Zahl der Scheidungen auswirkt

… weiß man nicht. Valide Zahlen vom Statistischen Bundesamt lagen zum Redaktionsschluss leider noch nicht vor und alles andere, was sich an Zahlen findet, sind reißerische Prognosen und Werbegetrommel von Anwälten mit Schwerpunkt Familienrecht. Was indes schon feststeht: Im ersten Halbjahr 2020 wurden weniger Ja-Worte gesprochen. Das allerdings lag nicht am fehlenden Heiratswillen, sondern am Lockdown der Standesämter. Insgesamt heirateten 139.900 Paare in Deutschland im 1. Halbjahr 2020, das sind 29.200 weniger als im Vorjahreszeitraum. Dass die Heirats-Halbjahresbilanz nicht noch niedriger ausfällt, ist dem Februar zu verdanken, der uns zwei besondere Daten bescherte – am 20.02.2020 und 02.02.2020 wurden überdurchschnittlich viele Ehen geschlossen (vermutlich von Leuten mit schlechtem Zahlengedächtnis).

– arbeitsrechtlich aussehen muss

… ist eine ebenso komplexe wie komplizierte Sache. Wir empfehlen Ihnen die Lektüre von impulse.de, Suchwort „Homeoffice-Regelungen“. Dort finden Sie alles rund um Arbeitszeiterfassung, Arbeitsschutz und Ausstattung bis hin zu der Frage, ob Homeoffice-Mitarbeitende versichert sind, wenn sie sich während ihres Jobs in ihrer eigenen Küche einen Kaffee holen und dabei verunglücken. Sorry, Spoiler: Nein, sind sie nicht, denn laut Bundessozialgericht (BSG) „habe der Arbeitgeber nicht das Risiko zu verantworten, wie der Lebensbereich des Arbeitnehmers gestaltet sei“.

– Cybercrime Tür und Tor öffnet

Für Cyber-Kriminelle ist Corona ein Geschenk des Himmels oder, in den Worten des BKA: „Auch wenn ein Engpass aufgrund ausreichender Reservekapazitäten seitens der Provider nicht zu erwarten war, boten das Homeoffice und die damit zum kritischen Element gewordenen VPN-Server attraktive Angriffsziele für Cyberkriminelle“.

Im ersten Lockdown vor gut einem Jahr wechselten Hunderttausende mehr oder minder überstürzt vom Büro ins Homeoffice. Um den Betrieb aufrechtzuerhalten, wurde die IT-Sicherheit dabei häufig vernachlässigt. „Nur jedes zweite Unternehmen (47 Prozent) hat das mobile Arbeiten und die Arbeit im Homeoffice in der IT-Sicherheit berücksichtigt“, heißt es in der Cyber Security Studie 2020, die IDG Research in Zusammenarbeit mit Microsoft erhoben hat.

Da loggten sich Angestellte fröhlich vom privaten Rechner ins Firmennetzwerk ein, luden Videosoftware oder Webinare auf ihr Firmenlaptop, schickten sensible Daten über unsichere Leitungen hin und her und öffneten Mails, die sie besser nicht geöffnet hätten. Diebstahl, Spionage und Erpressung sind die Folgen des laxen Umgangs mit Hardware, Software und Downloads. Zwar haben mittlerweile viele Unternehmen ihre IT-Sicherheit hochgerüstet, zeitgleich aber werden die Angriffe der Web-Verbrecher immer ausgeklügelter. Das BKA stuft die Bedrohungslage im Cyberbereich „wegen der anhaltenden Verschiebungen diverser Lebensbereiche in den virtuellen Raum“ als andauernd hoch ein. Wer sich gruseln will, liest

„Sonderauswertung Cybercrime in Zeiten der Corona-Pandemie“, bka.de

– dem Klima hilft oder auch nicht

„Arbeiten nach Corona. Warum Homeoffice gut fürs Klima ist“, lautet der Titel einer Broschüre, die Greenpeace im August 2020 veröffentlichte. Derzufolge könnte – konservativ gerechnet – ein zusätzlicher Homeoffice-Tag in Deutschland 1,6 Millionen Tonnen CO2 pro Jahr einsparen und die Verkehrsleistung des Pendelverkehrs um 10,9 Milliarden Personenkilometer reduzieren.

Nun nimmt zwar der Personenverkehr dank Homeoffice ab, dafür aber der Datenverkehr zu. Und damit der Stromverbrauch.

Das Borderstep Institut für Innovation und Nachhaltigkeit macht eine interessante Rechnung auf: Demzufolge verbraucht eine Stunde Video-Streaming in Full-HD-Auflösung zwischen 220 und 370 Wattstunden elektrische Energie, abhängig vom verwendeten Endgerät. Das verursache etwa 100 bis 175 Gramm Kohlendioxid (CO2) – und das entspricht den Emissionen eines Kleinwagens bei einem Kilometer Autofahrt.
Gegenüber dem Pendelverkehr ist das Homeoffice in puncto CO2-Emissionen zwar immer noch glasklar im Vorteil, allerdings sollte man sich in seinem Homeoffice um die Energieeffizienz kümmern und möglichst regenerativ erzeugten Strom nutzen.
Vom Energieverbrauch mal abgesehen haben die Zuhause-Arbeitenden auch sonst keine weiße, pardon: grüne Weste. Laut Handelsblatt schlugen die deutschen Bauhöfe im Mai und Juni 2020 Alarm, weil sich die angelieferte Menge Elektroschrott durch Neuanschaffungen für das Homeoffice verdoppelt hatte. Generell fiel 2020 deutlich mehr Haushaltsmüll an – was aber nicht allein dem Homeoffice, sondern auch den Lockdowns geschuldet ist. Zusammengefasst: Das Arbeiten im Homeoffice vermeidet zwar Verkehr und somit Emissionen – die Rettung fürs Klima ist das aber leider nicht.

Text: Vera Hermes

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