Fangen wir mit einer kleinen wahren Geschichte an.
Als wir vor Kurzem unsere Versicherungen überprüft haben, wurde uns empfohlen, bei einer bestimmten Versicherung die Haftungssumme deutlich zu erhöhen. Die Begründung war nicht, dass unser Umsatz gestiegen oder mehr Mitarbeiter eingestellt worden seien – sondern dass bei der ursprünglich vereinbarten Haftungssumme sowieso nicht gezahlt und die besten Anwälte der Versicherung das eventuelle Thema schon aus der Welt schaffen würden.
Eigentlich könnte der Artikel hier schon zu Ende sein, sagt diese Episode doch alles über unsere Geschäftswelt im Jahre 2019. Es wird gar nicht geprüft, ob etwas berechtigt oder unberechtigt ist, es wird nur geschaut, wie man am besten aus der Sache rauskommt oder am meisten an der Sache verdient. Dies wird auch gar nicht mehr nur verschämt gedacht, nein, es wird als Verkaufsargument genutzt, um wie in diesem Fall einen höheren Beitrag zu bekommen.
Nun wollen wir hier nicht rummoralisieren und der guten alten Zeit hinterhertrauern, es ist halt, wie es ist, und wir alle haben ja unseren Beitrag daran, dass es so ist. Spannender ist es, sich ein paar Gedanken zu machen, wie sich die Dinge wohl weiterentwickeln und was für Chancen daraus entstehen.
Gehen wir mal davon aus, dass es in vielen Konzernen so bleibt, dass Juristen und Einkäufer das Haus leiten. Gehen wir ferner davon aus, dass diese mächtigen Fachabteilungen nur Sieger und Verlierer kennen, keine Augenhöhe, keine fairen Kompromisse. Gehen wir davon aus, dass die Unterlegenen sich zu wehren wissen – hier der Zulieferer von VW, der mal zeigt, was er für eine Macht hat; dort die Gewerkschaft, die mal schnell die Bahn lahmlegt; hier die Juristen die AGB schaffen, die alle Rechte beim Unternehmen lassen, aber gerne alle Daten haben möchten, die sie bekommen können. Gehen wir mal davon aus, dass Vertrauen, Augenhöhe und Ausgleich in diesen Konzernen keine echte Rolle mehr spielen.
Dann ist die Stunde der Alternativen gekommen. Generell gesehen sind es die Tugenden des ehrbaren Kaufmanns. Damit sind nicht die eitlen Honoratioren hier in Hamburg gemeint, die sich einmal im Jahr treffen, leicht pomadig der Politik den Marsch blasen und stolz darauf sind, dass die Regeln sagen, dass die Politiker nicht antworten dürfen. Das ist wohl eher die spaßbefreite hanseatische Ausgabe einer Büttenrede. Es geht vielmehr um die historischen Tugenden dieses ehrbaren Kaufmanns. „Die Bezeichnung Ehrbarer Kaufmann beschreibt das historisch in Europa gewachsene Leitbild für verantwortliche Teilnehmer am Wirtschaftsleben. Es steht für ein ausgeprägtes Verantwortungsbewusstsein für das eigene Unternehmen, für die Gesellschaft und für die Umwelt. Ein Ehrbarer Kaufmann stützt sein Verhalten auf Tugenden, die den langfristigen wirtschaftlichen Erfolg zum Ziel haben, ohne den Interessen der Gesellschaft entgegenzustehen. Er wirtschaftet nachhaltig.“ Drei Worte sind es, auf die es in dieser bei Wikipedia genannten Definition ankommt: Verantwortungsbewusstsein, langfristig und nachhaltig.
Verantwortungsbewusstsein bedeutet heutzutage immer, mehreren Herren zu dienen: Gesellschaftern (Shareholdern), Kunden und Mitarbeitern. Gerät dieses Dreieck in Schieflage, wird es auch über kurz oder lang das ganze Unternehmen. Langfristig ist nicht der kurzfristige coole Deal wertvoll, sondern die dauerhafte Beziehung. Insbesondere das untreue Wesen Kunde weiß dies zu schätzen. Der Gewinn ist riesig – ein virales Marketing Asset genannt Stammkunde. Nachhaltig wirtschaften sollte man immer mit dem knappsten der vorhandenen Rohstoffe, den man für sein Unternehmen braucht. In der Kundenservice-Branche sind dies eindeutig die Mitarbeiter. Wer in einer mittelgroßen Stadt mit, sagen wir mal, 80.000 Einwohnern ein 400 Köpfe großes Center betreibt und sich mit einer Fluktuation von 40 Prozent zufriedengibt, kann sich ausrechnen, wann er das gesamte Potenzial dieser Stadt verschlissen hat. Nachhaltigkeit bringt da richtig Gewinn.
Der ehrbare Kaufmann ist ein Profitcenter. Zugegeben: Das klingt einfacher, als es ist, lohnt sich aber immer. Kein Arbeitsvertrag, keine AGB, kein Knebelvertrag können den Kunden, Dienstleister oder Mitarbeiter zwingen, sich nicht einfach eine Alternative zu suchen. Und diese Alternative ist eben immer öfter auch nur einen Steinwurf oder Klick entfernt. Es ist nicht die Aufgabe der Juristen oder anderer Fachabteilungen, dies zu erkennen, es ist die Sache des Chefs, des Kaufmanns, des CEOs – also von vielen Lesern der „vernetzt“. Und es funktioniert.
Dazu zum Abschluss noch eine kleine Geschichte: Unser Bürovermieter, ein sehr professioneller Geschäftsmann und Reeder hier in Hamburg, wollte die beiden Gesellschafter kennenlernen, bevor er seine Büros vermietet. Er stellte nur zwei, drei Fragen, bis er mich fragte, wo ich denn gebürtig sei. Ich sagte: „Ich bin Lübecker.“ Sein Kommentar: „Sagen Sie es doch gleich, unter Hanseaten zählt der Handschlag.“ Bis heute haben wir keine Mietkaution hinterlegen müssen und der Vermieter musste sich nie mit irgendetwas herumschlagen, was vielleicht seine Aufgabe wäre. Denn wer will so ein Vertrauen schon beschädigen?
Text: Thomas Hohlfeld
Diesen Beitrag teilen
