Sichtbarkeit – die neue Währung für die Karriere?

2021-10-02T16:25:27+02:0023. September 2021|Tags: , , , , , |

„Nur wer sichtbar ist, findet auch statt.“ So lautet der provokante Buchtitel von Tijen Onaran, erfolgreiche Meinungsmacherin für die Themen Digitalisierung & Sichtbarkeit (https://tijen-onaran.de). Das ist eine unmissverständliche Ansage. Doch was genau steckt hinter dieser Sichtbarkeit? Warum wird das Thema so gehypt? Was hat es damit auf sich, sich selbst als Marke sichtbar zu machen? Und was hat das Ganze mit der Karriere zu tun?

Eigentlich war Sichtbarkeit schon immer eine wichtige Währung für die eigene Karriere. Früher habe ich mich in Marketing-Clubs angemeldet, bin in Verbände eingetreten und habe Vorträge auf Kongressen gehalten. Engagements in Business-Kreisen, Alumni-Netzwerken oder bei den Rotariern galten als wichtige Plattformen, um an die guten Jobs zu gelangen.

Doch die Welt hat sich verändert. Durch die Pandemie sicher schneller. Passiert wäre es aber ohnehin. Unser Leben findet mehr und mehr digital statt. Und damit verändern sich zum einen die Regeln, wie Vernetzung im Beruflichen stattfindet. Das ist der Punkt WIE. Vor allem aber ändern sich auch die Spielregeln für die Inhalte. Das ist der Punkt WAS.

WIE Vernetzung im Beruflichen funktioniert

Neulich las ich einen LinkedIn-Post einer Managerin, die über Monate nach einem Job gesucht hatte. Ganz klassisch hatte sie in Stellenanzeigen gesucht und Job-Angebote bei Xing und LinkedIn beobachtet. Nichts passierte. Bis ihr jemand riet, ihr Profil zu pimpen (Neudeutsch für Profiloptimierung). Innerhalb von zwei Wochen hatte sie über 15 Jobangebote und fand ihren Traumjob.
Das mag plakativ klingen, doch wenn man alles richtig macht, funktioniert es genau so.

Das Modell der Plattform-Ökonomie hat sich bei Transaktionsgeschäften längst durchgesetzt. Amazon boomt und der Einzelhandel muss sich neu definieren. Das Gleiche wird mit beruflichen Communities und Netzwerken passieren. LinkedIn zählt in der DACH-Region aktuell 16 Millionen Nutzer, Xing 19 Millionen. Laut LinkedIn meldet sich alle 18 Sekunden ein neues Mitglied in der DACH-Region an. Tendenz weiter steigend. Analogen beruflichen Netzwerken droht aus meiner Sicht dasselbe Schicksal wie dem Einzelhandel: Will es überleben, muss es sich neu erfinden.

Vermutlich klappt die Neuerfindung auch. Denn aus der Trendforschung kennen wir die Regel: Jeder Trend hat einen Gegentrend. In diesem Fall wären das analoge Netzwerke für die berufliche Karriere.

Mit ziemlicher Sicherheit werden analoge Netzwerke exklusiver, limitierter und teurer. Denn diese Netzwerke bedienen das Bedürfnis nach Abgrenzung, Individualität und Exklusivität. Verknappung und Eingangsbarrieren funktionieren als Marketinginstrument hervorragend. Dem Elite-Karrierenetzwerk „The Marque“ (themarque.com) kann nur beitreten, wer von einem Mitglied eingeladen wird. Jahresbeitrag: 1.000 Franken. Selbst Xing hat diese Nische für sich entdeckt und führte 2018 das Luxus Abo „XING Executives Circle“ für knapp 3.000 EUR im Jahr ein. Anmelden können sich ausschließlich diejenigen, die eine Karriere mit großer Budgetverantwortung nachweisen. 2020 hatte Xing 20 Circles in Deutschland, Österreich und der Schweiz etabliert mit circa 400 Mitgliedern. Xing hat das Produkt zwar wieder eingestellt, geblieben sind jedoch nach wie vor geschlossene Gruppen. Der exklusive Austausch auf einer Ebene, in der alle ungefähr die gleiche Verantwortung haben, steht im Fokus. Headhunter sind ausgeschlossen.

Das kann ich sogar nachvollziehen. Immerhin pflegen Executive Personalberater ihr eigenes, exklusives Netzwerk und lassen sich da auch nicht gern in die Karten gucken.

Auch die „brand eins safari“ darf nicht unerwähnt bleiben. Zehn von brand eins nach persönlichem Interview ausgewählte Managerinnen und Manager aus verschiedenen Branchen treffen sich viermal an insgesamt sechs Workshop-Tagen. Kostenpunkt: 7.500 Euro.
Wer sich solche elitären Zirkel nicht leisten kann oder will, nutzt Social Media-Netzwerke für die berufliche Präsenz. Doch hier gibt es ein paar Spielregeln und damit sind wir bei dem WAS.

WAS sind die Regeln für Karriere-relevanten Content?

Ich selbst produziere seit vielen Jahren Inhalte. Mein größtes Learning war: Fach-Content allein funktioniert nicht (mehr). Ich habe relativ zeitgleich meinen persönlichen Account und den Business Account vernetzt-magazin bei LinkedIn angelegt. Während vernetzt! Magazin Fachartikel und Beiträge publiziert, wende ich bei meinem Personal Account eine völlig andere Strategie an. Hier geht es darum, als Persönlichkeit wahrgenommen zu werden. Das fällt uns gerade im deutschsprachigen Kulturraum nicht immer leicht. Personenkult ist oft verpönt, darum verstecken wir uns lieber hinter Fachthemen und Leistungsbeschreibungen – das aber funktioniert in den sozialen Netzwerken nicht. Hier reden Menschen mit Menschen.

Und so wundert es auch nicht, dass Beiträge des Magazins kaum kommentiert oder diskutiert werden. So ist es bei vernetzt! Magazin mit über 800 Followern. Ebenso kommentarlos bleibt das Manager Magazin mit über 330.000 Followern. Selbst SAP mit über 2,5 Millionen Followern bekommt zwar mal so um die 250 Likes, aber kaum Kommentare. Und wenn Personal Brands langweilige Fachartikel schreiben, passiert das Gleiche: Das kommentiert niemand. Ich beobachte das täglich und habe anfangs denselben Fehler gemacht.

Bis ich erkannt habe: Ein redaktioneller Fachartikel hat nichts im Auftritt einer Personal Brand zu suchen.

Bei der Personal Brand geht es nicht darum zu erklären, wie Führung funktioniert, sondern darum, mit welchen Werten ich führe. Welche Erfahrungen ich mache oder welche Misserfolge ich erlebt habe. Es geht nicht darum, wie Customer Service funktioniert, sondern welche Probleme und Herausforderungen ich persönlich bewältigt habe. Es geht um die eigene, persönliche Positionierung und Meinung. Die kann, muss aber noch nicht einmal einen beruflichen Bezug haben – es kann zum Beispiel auch um aktuell gesellschaftlich relevante Themen wie Hybrides Arbeiten oder Diversität gehen. Jede Ich-Erzählung zahlt auf das berufliche Außenbild ein.

Ich habe in weniger als sechs Wochen über 1.200 neue Follower und Netzwerkkontakte aufgebaut, seit ich meine Strategie umgestellt habe. Für die vorherigen 2.000 habe ich zwei Jahre benötigt. Menschen folgen Menschen. Und wenn ich diesen Menschen mag, sympathisch finde, interessant oder unterhaltsam, erst dann schau ich mir an, was dieser Mensch anbietet.

Bestes Beispiel für eine Personal Brand ist Elon Musk. Er ist sehr aktiv auf Twitter, antwortet manchmal auf Russisch und spricht über sein Leben und seine Werte. Mittlerweile kann er mit seinen Äußerungen sogar Aktienkurse beeinflussen und jede noch so verrückte Produktidee in Sekunden zum Kassenschlager werden lassen.

Ein gutes Beispiel aus unserer Branche ist Tanja Larisch, Geschäftsführerin von E.ON Energie Dialog. Geschickt verknüpft sie Informationen zu Produkten ihres Arbeitgebers und Themen aus dem Kundenservice mit ihrem eigenen Blog, wo es um Führung, Erfolg oder Ayurveda geht und wir mehr über sie persönlich erfahren.

Kunden kaufen von Menschen, denen sie freundschaftlich gegenüberstehen. Sie wissen, wie diese Menschen leben und denken, und vertrauen ihnen. Und wenn sie jemandem vertrauen, werden sie neugierig, was dieser Mensch anzubieten hat. So funktionieren Branding und Sales heute.

Das gilt nicht nur für Produkte und Dienstleistungen, sondern genauso für die eigene Karriereplanung. Mit einem guten Personal Branding bekommt man mehr und spannendere Jobangebote. Und selbst wenn man gerade keinen neuen Job sucht – Begehrlichkeit steigert den eigenen Marktwert. Auch das gehört zur Karriereplanung.

Ist also Sichtbarkeit die neue Währung für die Karriere?

Ja, Sichtbarkeit – besonders online – verhilft zu mehr Job Opportunites, denn „Kunden“ – also potenzielle Arbeitgeber – suchen genau dort. Diese Arbeitgeber wollen das Gefühl haben, jemanden zu kennen und zu mögen, interessant und kompetent zu finden. Und dafür sollte jede und jeder eine eigene Personal Brand aufbauen. Das steigert den Marktwert. Übrigens nicht nur extern, sondern auch intern. Denn Chefs und Chefinnen, Kolleginnen und Kollegen und Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter sind schließlich auch online.

Text: Iris Gordelik

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