Simplifizieren & lächeln, bitte!

Christoph Vilanek ist seit 2009 Vorstandsvorsitzender der freenet AG in Hamburg. Die freenet Group ist der größte netzunabhängige Telekommunikationsanbieter in Deutschland. Unter der Ägide des gebürtigen Österreichers wurden wesentliche Abläufe im Unternehmen – zum Beispiel in der Produktentwicklung und Kundenbetreuung, im Vertrieb und in der Logistik – auf ihre Effizienz überprüft und optimiert. Zudem schloss freenet im vergangenen Jahr ein IT-Migrationsprojekt ab, das sich gewaschen hat: Drei Service- Provider mit höchst unterschiedlichen Systemen wurden zu einem verschmolzen. Das Projekt dauerte zwei Jahre und kostete 65.000 Manntage. 500 Mitarbeiter waren involviert. 450 Prozessabläufe und Schnittstellen zu über zwölf Millionen Kundensätzen wurden optimiert. Heute betreut der Konzern über 15 Millionen Kunden, unterhält 550 Shops und weitere rund 6.000 Vertriebsstellen, bietet hunderte Hardware-Produkte und Tarife in vier Mobilfunknetzen. Lauter gute Gründe also, mit Christoph Vilanek über Komplexität zu sprechen.

Herr Vilanek, ist eine technologiegetriebene Branche wie die Telekommunikation besonders komplex?

Christoph Vilanek: Da bin ich sehr vorsichtig. Technologie wird gern mit Komplexität verwechselt. Ich glaube, es gibt zwei Treiber von Komplexität in Unternehmen. Erstens: die Digitalisierung. Durch die hohe Digitalisierung aller möglichen Prozesse ist es für den Einzelnen so gut wie undurchschaubar, welche Auswirkungen vermeintlich kleine Änderungen auf das gesamte System haben. Wenn wir in unserem Angebot ein simples Detail ändern, dann wirkt sich das oft auf sämtliche IT-Strukturen und -Prozesse aus. Die durch die Digitalisierung entstehende Vernetztheit ist also klar ein Treiber von Komplexität. Aber die größten Treiber – und hier sind wir beim zweiten Punkt – sind der Mensch und die Tatsache, dass wir in unserer westlich-abendländischen Kultur die Individualität des Einzelnen zulassen. Wir züchten Individualisten, und das ist – nicht dass Sie mich falsch verstehen! – gut so, denn wir brauchen starke Persönlichkeiten. Aber wenn ausgeprägte Individualisten aufeinandertreffen, entsteht oft eine ungeheure Komplexität. Auch weil Denkstrukturen aufeinanderprallen. Ich frage mich manchmal, was die Menschen, die heute als IT-Spezialisten arbeiten, vor gut 100 Jahren gemacht hätten. Wir ermöglichen heute einer Gruppe Menschen, die Denkstrukturen pflegt, welche beispielsweise im Marketing oder Vertrieb kaum verstanden werden, einen enorm hohen Einfluss auf unser Leben.

Und was können Führungskräfte gegen diese menschengemachte Komplexitätsexplosion tun?

Christoph Vilanek: Je weiter Führungskräfte in den Hierarchien nach oben kommen, desto mehr besteht ihre Aufgabe darin, zu simplifizieren und die Komplexität nicht weiter wuchern zu lassen. Es braucht Mut, manches nicht zuzulassen und unpopuläre Entscheidungen gegen die Interessen Einzelner zu treffen. Das ist schwierig, muss aber von oben kommen. Wenn einzelne Teams diszipliniert arbeiten und andere nicht, dann schaffen die anderen es garantiert, zusätzliche Komplexität zu erzeugen.

„Einfach kann schwieriger sein als komplex.“

Was sollten Führungskräfte konkret tun, um die Sache im Griff zu behalten?

Christoph Vilanek: Zwei Dinge: Jede einzelne Führungskraft ist gefordert, immer mal wieder einen Schritt zurückzutreten, um den Überblick zu behalten. Ein Räderwerk wie freenet mit rund 4.000 Mitarbeitern können Sie nicht überblicken. Sie müssen also auch tiefer reingucken und schauen, wie sich die Rädchen drehen. Und Sie müssen versuchen, Einfachheit walten zu lassen. Es gibt keine Toolbox. Führungskräfte müssen erkennen, wo Komplexität existiert, wie sie entsteht, und müssen sich fragen, wer davon betroffen und ob sie wirklich notwendig ist. Ab einer bestimmten Größe können Sie ein Unternehmen beliebig komplex machen. Sie kriegen Komplexität nur dann aus einer Organisation heraus, wenn Sie sie kleiner machen. Es lohnt sich, immer wieder die Fragen zu stellen: Was ist notwendig? Lohnt sich das? Ich stelle diese Fragen und habe die Komplexität im Unternehmen stellenweise reduzieren können.

Es gilt also die Devise: „Reduce to the max“?

Christoph Vilanek: „Einfach kann schwieriger sein als komplex“, hat Steve Jobs mal gesagt. Es erfordert eine enorme intellektuelle Disziplin, sich immer wieder zu fragen, ob es nicht simpler geht und ob die Reduktion nicht erfolgreicher wäre. Das sieht man zum Beispiel bei technischen Geräten sehr gut. Auch in Unternehmen geht es um Einfachheit und Konzentration auf das Wesentliche. „Was sind ernsthaft und ehrlich unsere Kernkompetenzen?“ Auf diese Frage ergeben sich manchmal Antworten, die gar nicht sexy sind. Amazon zum Beispiel hat nicht die „schönste Website“ oder ist der „größte Versender“, sondern bietet in erster Linie eine Qualität im Logistikbereich, die ihresgleichen sucht. Wir haben drei Kernkompetenzen. Eine davon ist das Beherrschen eines extrem fragmentierten Vertriebsapparates. Der entscheidende Punkt ist: Wenn ich glaube, etwas besser zu können als andere, dann sollte ich mehr davon machen.

Haben Sie so etwas wie eine persönliche Strategie, um mit den komplexen Anforderungen klarzukommen, die ein CEO-Posten mit sich bringt?

Christoph Vilanek: Ja, ich befasse mich sehr wenig mit Dingen, die nicht auf die Kernkompetenz und das Ergebnis einzahlen. In der Priorisierung ist manches eher „nice to know“ als nachhaltig. Ich kann auch in extrem schwierigen Phasen gut abschalten, denn es hilft nichts, schlaflose Nächte zu haben. Ich betrachte die Dinge bestimmt nicht leichtfertig, aber ich nehme sie etwas leichter. Man muss immer noch ein Lächeln übrig haben und sollte nicht alles bierernst nehmen.

Vera Hermes im Interview mit Christoph Vilanek

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