
Wer von Tugenden spricht, darf ja die Sünden nicht vergessen, denn auch die feiern während der Coronakrise fröhlich Urständ. Wir haben uns mal die von Pieter Bruegel dem Älteren definierten sieben Hauptsünden unter Pandemie-Perspektive angesehen.
Hochmut/Stolz
Der Philosoph Ernst Bloch soll den Begriff „Hochmut der Davongekommenen“ geprägt haben. Genau diese sehr merkwürdige Form des Muts bewiesen Tausende Touristen, die ganz nach dem Motto „Mir wird schon nichts passieren“ Ost- und Nordsee, Mallorca und Kroatien stürmten. Urlaub machen, als wenn’s kein Morgen gäbe … bleibt zu hoffen, dass nach dem Hochmut nicht der (Corona-)Fall folgt.
Habgier/Habsucht/Geiz
Ach, Ischgl.1.600 Bewohner, 10.000 Übernachtungsbetten, Corona-Hotspot Europas. Ausgehend von der Bar „Kitzloch“ (was für ein, Pardon, bescheuerter Name!) trug die Après-Ski-Partygemeinde das Virus in alle Welt. Selbst als Ischgl-Urlaubsrückkehrer aus Island, Deutschland, Dänemark und Norwegen schon positiv auf Corona getestet waren, lief der Skibetrieb noch Tage munter weiter. Die österreichische Zeitung „Der Standard“ kommentiert: „Die Gier hat die Verantwortung für die Gesundheit der Bürger und der Gäste besiegt. Man wollte diese letzte starke Touristenwoche noch ‚mitnehmen‘, auf dass die Kassen der Liftbetreiber und Hoteliers klingeln.“
Völlerei/Unmäßigkeit/Selbstsucht
Ob Puma oder Adidas, Mediamarkt/Saturn, Deichmann oder H&M – sie alle kündigten während des Lockdowns an, ihre Ladenmieten nicht zahlen zu wollen. Bei allem Verständnis für die extrem schwierige Lage der Stationärhändler nahm die Öffentlichkeit diese „Sparmaßnahme“ insbesondere Adidas extrem übel. Das Unternehmen aus Herzogenaurach hatte für 2019 einen Gewinn von zwei Milliarden Euro gemeldet. Shitstorm und Boykottaufrufe folgten. Adidas entschuldigte sich. Als der Konzern im April einen KfW-Kredit über 2,4 Milliarden erhielt, interessierte das kaum noch jemanden. Einzelne Kritiker wie etwa Investor Frank Thelen fragen allerdings: „Warum müssen wir denn als Steuerzahler ein Unternehmen finanzieren, das 2019 zwei Milliarden Gewinn gemacht hat? Sorry, das geht doch gar nicht.“
Wollust/Ausschweifung/Genusssucht
>> siehe Hochmut
>> siehe Habgier
Neid/Eifersucht/Missgunst
27 Staats- und Regierungschefs und -chefinnen, ein unbeugsamer „Klub der Sparsamen“, 91 Verhandlungsstunden und die Aufgabe, unfassbar viel Geld gut zu verteilen: Auf dem EU-Sondergipfel im Juli verständigte man sich auf einen Wiederaufbaufonds für schwer von der Corona-Krise betroffene Staaten – 390 Milliarden Euro fließen an Zuschüssen, 360 Milliarden Euro an Krediten. Wer sich nach dem Beschluss in die Kommentierungsspalten der großen deutschen und österreichischen Medien verirrte, konnte dort in zig Beiträgen lernen, was Neid und Missgunst bedeuten (und da stehen die Leserbeiträge in der Alpenrepublik den hiesigen in nichts nach).
Faulheit/Trägheit/Überdruss
Coronamüdigkeit macht sich breit. Man hat dieses Virenthema ganz und gar über. Man möchte das normale „R“ zurück, das nichts mit Reproduktionszahlen zu tun hatte, man möchte wieder allen möglichen Menschen um den Hals fallen, Einkaufswagen mit gutem Gefühl anfassen, dicht gedrängt in einem Publikum für was-auch-immer stehen und maskenlos in gut gefüllte Restaurants gehen. Weil die Gefahr angesichts der Lockerungen nicht mehr so unmittelbar zu sein scheint, lässt die Angst nach, lässt die Disziplin nach, lässt die Aufmerksamkeit nach. Dieses Verhalten ist nicht nur eine Sünde (Trägheit des Geistes und so). Es könnte sich als lebensgefährlich erweisen.
Zorn/Wut/Rachsucht
Sie war schon immer ein Problem, mit der Corona-Pandemie allerdings bekam sie noch mal einen ordentlichen Turbo: die „Hate Speech“. Die Hassrede, vulgär und voller Wut, kommt bevorzugt in Social Media vor, wo es so kuschelig anonym zugeht. Laut der Bundeszentrale für politische Bildung ist Hate Speech „ein Oberbegriff für das Phänomen der gruppenbezogenen Menschenfeindlichkeit oder Volksverhetzung im Internet und Social-Media-Räumen“. In diesem Jahr wurde das Ausmaß des Ekelhaften so groß, dass große Werbungtreibende wie etwa Unilever, Procter & Gamble, Starbucks, Honda, Coca-Cola, Patagonia und The North Face beschlossen, ihre Werbung auf Facebook auszusetzen. Das Motto der schnell um sich greifenden Initiative „Stop Hate for Profit“. Facebook – das seine Gewinne aus dem Anzeigengeschäft generiert – gelobte Besserung und will mehr gegen Hassrede, Falschinformationen und Mobbing auf seinen Diensten tun. Insider bezweifeln allerdings, dass Zuckerberg und seine Leute das Problem tatsächlich ernsthaft angehen werden.
Text: Vera Hermes