
In unserer neuen Kolumne „THINK OUTSIDE THE BOX“ skizzieren kluge Köpfe aus der Branche Trends, Thesen und Themen rund um Customer Service-Excellence.
Isabelle Ewald ist Senior Consultant Tech Strategy beim internationalen Handels- und Dienstleistungskonzern Otto Group mit Sitz in Hamburg und beschäftigt sich auch darüber hinaus intensiv mit dem digitalen Wandel – etwa als Host des Podcasts Mind the Tech. Tatkräftig unterstützt wurde sie für ihre Überlegungen zum Metaverse von ihrer Teamkollegin Franziska Schroeter, die als Innovationsexpertin grundsätzlich mit einem Bein in der Zukunft steht und dies viele Jahre auch beim Aufbau von Start-ups im Konzernumfeld unter Beweis gestellt hat.
Wie das Metaverse neue Kundenrealitäten schafft
Wie relevant ist das Metaverse für die Nähe von Marken zu ihren Konsument*innen? Eine Frage – so vielschichtig wie das Metaverse selbst. Denn Stand heute lassen die Visionen derer, die darin eine neue Ära des Internets sehen, noch viel Raum offen für Interpretationen. In diesem Text liefern wir, Isabelle Ewald und Franziska Schroeter, Ideen zu konkreten Handlungen im Sinne von Verbraucher*innen.
Aber fangen wir ganz vorne an: Was ist eigentlich dieses Metaverse? Vielerorts ist von einem begehbaren Internet die Rede. Der Virtualisierung von Lebensräumen mit flexiblen Verbindungen in die analoge Welt, allen voran durch Augmented Reality (AR). Ein Zukunftsszenario, an dessen Umsetzung die großen Technologiekonzerne bereits dran sind, allen voran die Company „formerly known as Facebook“. Aber ist das schon die ganze Wahrheit?
Wenn wir das Metaverse verstehen wollen, lohnt es sich für einen kurzen Moment, in die Welt der Online-Games abzutauchen: Nicht nur die sogenannte Gen Z, die – wenn sie nicht davon abgehalten wird – Tage in Roblox oder Sims 4 verbringen kann, findet hier immer öfter einen Ersatz für fehlende menschliche Interaktion, fürs zwanglose Zusammensein. Auch andere nutzen diesen Teil des Internets als (zentralen) Lebensraum – hierzu hat nicht zuletzt die Pandemie massiv beigetragen. Die virtuelle und die reale Welt verschmelzen zunehmend miteinander, die Ästhetik des Alltags verändert sich.
Die Neuentdeckung der (Kunden-)Nähe
Ganz beiläufig wurde dabei der Begriff „Nähe“ neu aufgeladen. Kein Wunder: Der Mensch sucht seit der Pandemie mehr denn je Geborgenheit im Freundes- und Familienkreis – und findet stattdessen gesetzliche oder selbst auferlegte Kontaktbeschränkungen vor. Zwangsläufig erfolgen auf urmenschliche Bedürfnisse virtuelle Antworten. Selbst Senior*innen verbringen immer mehr Zeit vor Computern und werden vertrauter mit neuen Technologien. Und wie das häufig so ist: Ist man sicher seine ersten Schritte auf unbekanntem Terrain gegangen, kommt das Wohlgefühl ganz von allein.
Die Arbeitswelt ist diesem Prinzip längst gefolgt: Remote Work ist in vielen Branchen vom Nice-to-have zu einem absoluten Muss geworden. Und auch die Konsumwelt ist gerade dabei, ihr Nähe-Gelübde (zum Kunden) zu erneuern, indem sie Angebote in virtuellen Umgebungen schafft. Adidas, Gucci, Ralph Lauren und andere gehen hier beispielhaft voran. Sie haben das Potenzial des Metaverse erkannt und setzen erste Retail-Konzepte um. Samsung etwa hat Anfang des Jahres mit Samsung 837X seinen ersten Store im Metaverse eröffnet, der der Hauptfiliale in New York City nachempfunden ist. Darin können sich Kund*innen als Avatare zu verschiedenen Räumen führen lassen, hinter deren Türen sich verschiedene Erlebniswelten auftun. Der Mobilfunkriese verspricht eine einzigartige Reise durch die Welt der Technologie, Kunst, Mode, Musik und Nachhaltigkeit. H&M zögert indes noch mit dem Gang ins Metaverse. Zwar kursieren bereits erste Bilder eines durch und durch virtuellen Shops im Netz, doch der schwedische Bekleidungshändler selbst wird nicht konkret. Kein Wort eines bevorstehenden Launches (bei Redaktionsschluss).
Dabei liegen die Vorteile – gerade für Modemarken – klar auf der Hand: Das Prinzip der virtuellen Anprobe – seit Jahren ein echter Pain Point im Online Retail – könnte neu gedacht und umgesetzt werden, Bewegungsmuster von Kund*innen durch die Angebotswelt wesentlich besser nachempfunden werden, ergo bessere Angebote auf persönlicher Ebene entstehen. Aber auch auf Defizite im stationären Einzelhandel liefert das Metaverse Antworten, Samsung macht es, wie oben beschrieben, vor, indem es Verbraucher*innen emotional „anpackt“ und Shopping mit allen Sinnen bietet. In puncto Markenbindung ist das ein echtes Plus, denn was bleibt, ist am Ende immer das Gefühl.
Welches Metaverse darf’s denn sein?
Was hält Unternehmen also noch davon ab, ins Metaverse zu gehen? Tatsächlich ist es seine Dualität, die Entscheider*innen Kopfschmerzen bereitet. Aktuell stehen sich nämlich zwei Metaverse-Konzepte gegenüber: zum einen die geschlossenen, also virtuellen Communities/Plattformen, die von einem Player zentral designt und kontrolliert werden und bei denen Nutzer*innen nur sehr eingeschränkt Einblick in die Struktur und Funktionsweise haben. Und zum anderen die offenen mit einem Maximum an Transparenz. Oder in einfachen Worten: die undurchsichtigen Datenkraken versus die fairen.
Immer öfter wird das Metaverse im gleichen Atemzug mit dem Web 3.0 genannt, bei dem Dezentralität eine entscheidende Rolle spielt. Hierbei stehen die Nutzer*innen im Fokus – mit vollständiger Kontrolle über die eigenen Daten, getragen von der Blockchain-Technologie. Über die Semantik indes wird noch fleißig diskutiert; Expert*innen kommen zunehmend zu dem Schluss, dass das Metaverse so etwas wie eine Erweiterung des Web 3.0 sein wird, bei dem die Schnittstelle zum Nutzer durch AR- oder Mixed-Reality-Technologien gestaltet wird. Und Kryptowährungen werden zum entscheidenden Bezahlmittel. Es gibt jedoch noch einige technische Hürden, die überwunden werden müssen, um das Metaverse wirklich zu einem Lebensraum werden zu lassen und nicht nur wie ein besseres Computerspiel aussehen zu lassen. Genau das ist entscheidend für die Frage, ob und wann es sich durchsetzt.
Ausblick
Die entscheidende Frage ist: Wird das Metaverse zu einem unüberschaubaren Mosaik oder läuft alles auf eine zentrale Plattform hinaus, was aus Nutzer*innenperspektive natürlich das Optimum wäre. Denn wenn man sich in jedes Metaverse separat und möglicherweise umständlich einloggen müsste, dann wäre die fehlende Usability eine echte Einstiegshürde. Man stelle sich mal vor: ein Metaverse für Konzerte, eines oder zwei zum Shoppen und so weiter. Das ist für Konsument*innen keine Option, denn das Metaverse soll schließlich ein Ort sein, an dem das ganze Leben virtuell zusammenfließt. Fakt ist: Das Metaverse „ist“ schon und „wird“ gleichzeitig noch – mit unklarem Ausgang, inwiefern es unser Dasein und unsere Interaktion beeinflusst.