Sie sind die Visitenkarte des Unternehmens, sie geben einer Marke erst ein Gesicht, sie bestimmen letztlich über das Wohl und Wehe eines Unternehmens: die Mitarbeiter. Müssen sie also auf der Prioritätenliste der Unternehmenslenker noch vor den Kunden stehen? Fest steht: Konsequente Mitarbeiterorientierung macht Unternehmen extrem erfolgreich.
Erst der Mitarbeiter, dann der Kunde? Das klingt zunächst mal nach einer verdammt akademischen Frage. Spontan antwortet nahezu jeder, der Kunde müsse im Zentrum jedes unternehmerischen Handelns stehen. Bei längerem Nachdenken findet sich indes eine Reihe Argumente, warum es sich lohnt, der Frage mal genauer nachzugehen. Angestoßen hat die Diskussion Vineet Nayar. Der indische Manager war im Jahr 2005 beim Technologieunternehmen HCL gestartet und hatte dort mit seiner Philosophie der unbedingten Mitarbeiterorientierung einen bemerkenswerten Turnaround hingelegt. Heute zählt der indische Konzern zu den am schnellsten wachsenden Tech-Unternehmen welt- weit – und zu den beliebtesten Arbeitgebern Asiens. In seinem 2010 erschienenen Buch „Employees First, Customers Second“ schreibt Vineet Nayar: „Die konventionelle Lehre sagt natürlich, dass ein Unternehmen stets seine Kunden an die erste Stelle setzen muss. Bei allen Serviceunternehmen findet die wahre Wertschöpfung jedoch immer an der Schnittstelle zwischen Kunde und Mitarbeiter statt. Wenn die Mitarbeiter hier nun an die erste Stelle gesetzt werden, kann ein Unternehmen grundlegende Veränderungen in der Art und Weise herbeiführen, wie es für seine Kunden einzigartige Werte schafft und sich von seinen Konkurrenten ab- hebt. Durch eine Kombination aus engagierten Mitarbeitern und verantwortlichem Management kann ein Unternehmen außerordentliche Werte für sich selbst, seine Kunden und die beteiligten Personen in beiden Unternehmen schaffen. Wenn ein Unternehmen seine Mitarbeiter an die erste Stelle setzt, gelangt der Kunde also letztlich durchaus an die erste Stelle und trägt den meisten Nutzen davon, aber auf transformativere Weise als durch traditionelle „Kundenbetreuungs“-Programme und dergleichen.“ Es geht nicht darum, Mitarbeiter zu pampern, sondern darum, Kunden gut zu managen, indem man Mitarbeiter gut managt.
dm-Gründer Götz Werner ist mit seiner Philosophie der unbedingten Wertschätzung von Menschen ein höchst erfolgreicher Unternehmer geworden.
Und in der Tat zeigt ein Blick auf die Bilanzen, dass explizit mitarbeiterorientierte Unternehmen wie etwa die Drogeriemarktkette dm, das Hochtechnologieunternehmen Trumpf oder die Hotelkette The Ritz-Carlton oft besonders erfolgreich sind. Es gibt also zweifelsfrei einen Zusammenhang. Mitarbeiterorientierung bedeutet nicht, dass die Kollegen in Watte gepackt werden. Wobei schon erheblich ist, was viele Unternehmen ihren Angestellten bieten. Versandhändler Otto zum Beispiel punktet mit Personalkauf-Rabatten, Gesundheitsprogrammen plus Fitnessstudio, gleitender Arbeits- zeit, Angeboten zur Kinderbetreuung und umfangreichen Servicediensten wie beispielsweise Reinigungsannahme oder Fahrzeugpflege (!). Doch mehr noch als solche netten Dreingaben sind es Wertschätzung, Eigenverantwortung und geschenktes Vertrauen, die Mitarbeiter begeistern und sie zu kundenorientiertem Handeln motivieren. Bei den Nobelhotels des Ritz-Carlton verfügt beispielsweise jeder Mitarbeiter über ein Budget, das er ungefragt einsetzen kann, um einen Gast bei einer Beschwerde zufriedenzustellen. Bei Trumpf können die Mitarbeiter alle zwei Jahre neu entscheiden, wie viel sie in welcher Lebensphase arbeiten wollen, und ihre vertragliche Wochenarbeitszeit in einem Rahmen von 15 bis 40 Stunden erhöhen oder senken.
dm-Gründer Götz Werner sagte unlängst im brand eins-Interview: „Der Mitarbeiter ist der wichtigste Kunde. Wenn es nicht gelingt, den Mitarbeitern eine Idee zu vermitteln, braucht man es bei den anderen Kunden erst gar nicht zu versuchen.“ Das sieht Verena Fink, Expertin für Neuroscience-Marketing, genauso: „Ich finde die Diskussion hinfällig. Sie erinnert mich an die Situation im Flugzeug, zu der es in der Durchsage immer heißt: ‚Im Falle eines Druckverlustes setzen Sie erst sich selbst die Sauerstoffmaske auf und helfen dann mitreisenden Kindern.‘ Der Mitarbeiter muss wie der erwachsene Fluggast erst mal selbst den Spirit eines Unternehmens einatmen – er muss begeistert sein, um den Kunden zu begeistern. Andersherum funktioniert es nicht.“
Verena Fink, Expertin für Neuroscience-Marketing, ist überzeugt, dass es gut fürs Geschäft ist, wenn sich Mitarbeiter und Kunden ähneln.
RICHTIG INTELLIGENTES ROUTING
Satmap ist eine Call Center-Technologie, deren Routing Mitarbeiter und Kunden verbindet, die zueinander passen. Das läuft wie folgt: Zunächst nehmen die Service- Mitarbeiter an einer freiwilligen, Browser-basierten Befragung zu ihren Persönlichkeitsmerkmalen teil. Ruft ein Kunde an, werden öffentlich zugänglich Daten, Informationen aus kommerziellen Datenbanken sowie aus Social Media zu seiner Person ausgewertet. Der Algorithmus von Satmap analysiert binnen Millisekunden, welcher Agent vom Persönlichkeitsprofil am besten zu dem Kunden passt und verbindet die beiden. Die Software ist selbstlernend, wird also laut Unternehmensangaben kontinuierlich besser. Wenn das tatsächlich funktioniert, dient die Soft- ware sowohl der Mitarbeiter- als auch der Kundenorientierung, denn der Mensch agiert nun mal gern nach dem Gesetz der Kohorte: Gleich und Gleich gesellt sich gern. Und das dürfte sich für Mitarbeiter in Erfolg, für die Kunden in Zufriedenheit und für die Unternehmen in höheren Umsätzen niederschlagen. Mehr Infos unter http://www.satmapinc.com
Verena Fink war bis Ende Januar Director Customer Focus bei QVC Deutschland in Düsseldorf. Dort herrschen beste Voraussetzungen für sehr zugewandte und motivierte Mitarbeiter im Kundenservice, denn: Viele Mitarbeiter sind zugleich Kunden und wissen somit bestens, wovon sie sprechen. QVC fördert diese sehr spezielle Kundenorientierung mithilfe von Mitarbeiterrabatten und eigenen Produktshows für die Teams. „Es hilft enorm, wenn die Mitarbeiter vom Erfahrungshorizont her den Kunden ähneln. Eine Hotline für Schlagermusik mit Heavy-Metal-Fans zu besetzen ist schlecht“, so Fink. Bei QVC sitzen auch deshalb überwiegend Frauen am Telefon, weil das Gros der Kundschaft weiblich ist. Diese Mitarbeiterinnen sind es übrigens auch, die sich innerhalb des Unternehmens am vehementesten für die Kunden einsetzen – wohl weil sie am unmittelbarsten mit ihnen zu tun haben. Das Customer Care-Team sammelt täglich Kundenmeinungen zu Produkten, Fernsehsendungen oder logistischen Prozessen und gibt diese aufbereitet an die entsprechenden Abteilungen weiter. Dort werden die Anregungen und Kritik der Kunden wöchentlich diskutiert. Die Schlussfolgerungen werden zurück an die Kundenservice-Mitarbeiter gespielt, damit die wissen, wie auf das Kundenfeedback konkret reagiert wird. Dieser Prozess ist nicht nur ein Indiz für die hohe Kundenorientierung bei dem Teleshopping-Unternehmen, sondern auch Ausdruck der Wertschätzung gegenüber den Mitarbeitern, deren Meinung gehört und berücksichtigt wird.
Die Annahme, dass ein Mitarbeiter kundenorientierter handelt, je näher er am Kunden dran ist, führt dazu, dass immer mehr Konzerne dafür sorgen, dass jeder Kollege mal Kundennähe erlebt. Beim Versender Otto arbeitet jeder Neuankömmling zunächst zwei Wochen im Call Center, bei Procter & Gamble besuchen Führungskräfte Familien zu Hause, um ihre Gewohnheiten besser kennenzulernen, und beim Call Center-Dienstleister SNT AG sitzen in Spitzenzeiten auch die Top-Manager an den Telefonen. Drei Dinge tragen laut Verena Fink dazu bei, Mitarbeiter zu begeistern: die Produkte, die Kunden und eine gemeinsame Vision. Gerade letztere trage eher zur Motivation bei als kostspielige Incentives. Die sind mitunter sogar kontraproduktiv. Man denke nur an die diversen Verkäufer-Rankings, die stets diejenigen frustrieren und demotivieren, die absteigen oder erst gar nicht drin sind. Fink empfiehlt dazu das Buch mit dem schönen Titel „Punished by Rewards“ von Alfie Kohn. „Ich glaube nicht an 100.000 Motivationstools, ich glaube daran, nicht zu demotivieren. Dazu gehört auch, den Mitarbeitern die Freiheit zu geben, zu entscheiden, was gerade für die Kunden richtig ist“, so die Service-Expertin. Verantwortung zu übertragen beweist Vertrauen und Wertschätzung, motiviert die Mitarbeiter und sorgt zum guten Schluss und im besten Falle für positive Kundenerlebnisse. Ein klarer Fall von Mitarbeiterorientierung, die direkt zu mehr Kundenorientierung führt.
Diesen Beitrag teilen
