Es prangt auf den Titelseiten ernst zu nehmender Zeitschriften, ist Diskussionsgegenstand im Freundeskreis und führt durch seine geradezu inflationäre Beschwörung langsam, aber sicher zu Ermüdungserscheinungen: das Thema Burnout. Kaum eine gesellschaftliche Debatte wurde im Jahr 2011 so gehypt wie die über das scheinbar massenhaft grassierende Gefühl des Ausgebranntseins. Psychologie- Professor Dr. Matthias Burisch beschäftigt sich seit über 20 Jahren mit dem Burnout-Syndrom und bedauert die oft falsch geführte Debatte. Doch um Burnout soll es hier gar nicht gehen. Sondern – zugegebenermaßen verkürzt und unvollständig – ganz handfest darum, wie Menschen sich davor schützen können, dass ihnen die Energie verloren geht.
Da ist zum Beispiel diese Angst, die wohl alle berufstätigen Menschen manchmal plagt: den Job und damit Geld, Status und Sicherheit zu verlieren. Das Verfallsdatum für Berufstätige, sagt Burisch, liege heute gefühlt bei Ende vierzig. Also steigt mit zunehmendem Alter der Druck, alles richtig zu machen, um bloß nicht bei der nächsten Kündigungswelle dabei zu sein. Was tun gegen diese Angst und diesen Druck? „Es ist hilfreich, einen Plan B und C zu haben. Ein Beschäftigungsverhältnis ist kein Pakt mit dem Teufel. Niemand hat seine Seele an das Unternehmen verkauft, für das er gerade arbeitet“, sagt Matthias Burisch.
Er rät: Netzwerken, netzwerken, netzwerken! Jeder sollte ein Dutzend Leute haben, die er ansprechen kann, wenn er einen neuen Job sucht. „Und wenn es über XING ist.“ Auch ein Besuch beim Headhunter sei ratsam, „um zu schauen, was das Meer noch an Fischen bereithält“.
Ein Arbeitsplatzverlust, das sollte jedem bewusst sein, ist nicht das Ende der Welt. Wer kann, darf auch beizeiten über die Option Selbstständigkeit nachdenken. Viele Führungskräfte haben ein so großes Verantwortungsgefühl, dass sie alle Dinge unbedingt zu Ende führen wollen und dabei auch gleich noch das mit erledigen, was andere nicht schaffen. „Freiwillige Selbstausbeutung“ nennt Burisch diese Neigung, sich alles zuzumuten und zumuten zu lassen. Solange sich die Menschen in vielen Branchen über die Hutschnur belasteten, so lange nützten auch die besten Stressseminare nichts, ist der Coach überzeugt.
Das Problem: Erst befriedigt die Selbstausbeutung, irgendwann macht sie müde, die Routine kommt, der Spaß geht verloren. „Wenn Sie etwas machen, woran Sie keinen Spaß haben, dann zählt jede Stunde dreifach“, weiß Burisch. Man brennt aus. All jene, die proklamieren, die Arbeit sei das Wichtigste in ihrem Leben – laut einer aktuellen GfK-Umfrage für die Apotheken Umschau sagt das jeder dritte Berufstätige von sich –, sollten sich darüber im Klaren sein, dass dem nicht so ist. „Außerhalb von ‚work‘ sollte es auch noch ‚life‘ geben!“, appelliert der Burnout-Spezialist.
„Führen Sie ein Leben neben dem Job: Irgendwas werden Sie doch wollen? Gitarre spielen? Gärtnern? Als PR-Chef des Sportvereins fungieren?“ Wer über einen längeren Zeitraum selbstausbeuterisch alle Kraft ausschließlich in die Arbeit investiert, lebt in Gefahr. Er verliert sich selbst. Der Freundeskreis wird kleiner, weil er oder sie sich ja nicht mehr kümmern kann. Die Hobbys werden weniger, denn es fehlt die Zeit. Die Familie sieht man ohnehin selten genug. Matthias Burisch rät, sich immer wieder seiner eigenen Identität zu vergewissern und über sich selbst nachzudenken. Wer bin ich eigentlich? Was kann ich gut? Was kann ich richtig schlecht? Worauf reagiere ich aggressiv? Worauf bin ich stolz? Wofür schätzt man mich? Womit haben die Menschen bei mir Schwierigkeiten?
Wer derlei Fragen für sich beantwortet, stärkt seinen inneren Kern, seine innere Heimat und macht sich damit stabiler gegen äußere Angriffe. Statt mit Problemen ausgefüllt zu sein oder ständig auf den nächsten Kick zu warten, gilt es, sich des „integralen Selbst“ bewusst zu sein. „Mal übergangen zu werden, mal zu scheitern, mal ungerecht behandelt zu werden, das alles können Sie besser vertragen, wenn Sie einen klaren, festen Kern haben. Das verhindert Überreaktionen“, ist Matthias Burisch überzeugt.
Allerdings machen wir uns die notwendige Selbstvergewisserung selbst schwer: Ob beim Warten auf die S-Bahn oder den Flieger, im Zug, im Café, selbst im Meeting, am Abendbrottisch und in der Werbepause des TV-Films hat hierzulande heute das Gros der Menschen wahlweise ein Handy am Ohr, ein Smartphone in der Hand oder einen Laptop auf dem Schoß. Niemals in der Geschichte seien die Menschen dermaßen außengeleitet gewesen wie heute, sagt Burisch. Wir lassen uns permanent durch die Medien bedrängen und kommen vor lauter Informationen nicht zum Nachdenken. Wer aber immer von außen beeinflusst wird, steht über kurz oder lang nicht mehr auf eigenen Beinen. Statt Mainstream, Jugendkultur und Trends hinterherzujagen, solle jeder besser einen Rest dessen behalten, was Hermann Hesse in seinem Lob auf den Eigensinn beschrieben habe, empfiehlt Burisch.
Hesse leitet seine Abhandlung über den Eigensinn so ein: Eine Tugend gibt es, die liebe ich sehr, eine einzige. Sie heißt Eigensinn. Von allen den vielen Tugenden, von denen wir in Büchern lesen und von Lehrern reden hören, kann ich nicht so viel halten. Und doch könnte man alle die vielen Tugenden, die der Mensch sich erfunden hat, mit einem einzigen Namen umfassen. Tugend ist: Gehorsam. Die Frage ist nur, wem man gehorche. Nämlich auch der Eigensinn ist Gehorsam. Aber alle andern, so sehr be- liebten und belobten Tugenden sind Gehorsam gegen Gesetze, welche von Menschen gegeben sind. Einzig der Eigensinn ist es, der nach diesen Gesetzen nicht fragt. Wer eigensinnig ist, gehorcht einem anderen Gesetz, einem einzigen, unbedingt heiligen, dem Gesetz in sich selbst, dem „Sinn“ des „Eigenen“.
Und wem das alles zu philosophisch ist, der muss vielleicht einfach mal die Perspektive wechseln, um festzustellen, was ihm wichtig ist und was nicht: „Es ist sinnvoll, sein Leben vom Tod aus zu denken und sich einfach vorzustellen, man liege auf dem Totenbett. Dann wird einem schnell klar, dass vieles, was gerade wichtig erscheint, überhaupt nicht zählt“, sagt Burisch.
Sich seiner selbst vergewissern, Prioritäten setzen, ein Leben neben der Arbeit führen, keine Angst haben – das klingt banaler, als es wahrscheinlich ist. Wer diese Aspekte beherzigt, ist auf jeden Fall schon mal besser gefeit vor dem ständigen Ansturm von außen.
In diesem Sinne: Geben Sie gut auf sich Acht!
Dr. Matthias Burisch war lange Jahre Professor für Psychologie an der Universität Hamburg, wo er unter anderem das Studienmodul Organisations- und Personalentwicklung leitete. Bereits 1989 – als noch kaum jemand das Wort kannte – verfasste er den Wissenschaftsbestseller „Das Burnout-Syndrom – Theorie der inneren Erschöpfung“, der heute als Standardwerk zum Thema gilt. 2010 erschien die vierte Auflage, erweitert unter anderem um ein neues Kapitel, in dem es um den Trend zur freiwilligen Selbstausbeutung und Hilfen zur Selbsthilfe geht. Matthias Burisch ist ein viel gefragter Experte, der gern von Medien wie Spiegel oder Focus zitiert wird. 2008 gründete er das Burnout-Institut Norddeutschland (BIND), darüber hinaus ist er als Berater, Trainer und Coach unterwegs und widmet sich dabei insbesondere der Burnout-Prophylaxe, dem sogenannten Energy Management. www.burnout-institut.eu
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