Wie deutsche Unternehmen Konflikte managen (sollten)

2020-11-27T17:32:11+01:0015. September 2015|Tags: , , |

PricewaterhouseCoopers und die Europa-Universität Viadrina analysieren seit zehn Jahren, wie deutsche Unternehmen mit Konflikten umgehen. Viele Firmen ziehen noch immer vor Gericht, obwohl sie das eigentlich gar nicht wollen – weil ihnen ein systematisches Konfliktmanagement fehlt.

Wenn Umfang ein Indiz für Relevanz ist, dann ist glasklar, dass Konfliktmanagement hierzulande seit gut zehn Jahren kontinuierlich wichtiger wird: Im Jahr 2005 zählte die von Pricewaterhouse- Coopers (PwC) in Zusammenarbeit mit der Europa-Universität Viadrina herausgegebene Studie zum Thema 32 Seiten. 2007 dann 36 Seiten. 2011 waren es schon 88 Seiten, und die vierte Studie umfasst satte 100 Seiten. Der fünfte und letzte Band der Studienreihe wird Anfang 2016 veröffentlicht und vermutlich noch ein paar Seiten mehr umfassen, denn: In deutschen Unternehmen setzt sich mehr und mehr die Einsicht durch, dass es klug ist, sich professionell mit Konflikten auseinanderzusetzen. Wer Konflikte gütlich löst, bindet Kunden und Mitarbeiter, spart Zeit und Geld, erhöht Arbeitgeberattraktivität und in der Summe all dessen mit hoher Wahrscheinlichkeit auch seinen Erfolg (was wissenschaftlich kaum valide nachweisbar, aber irgendwie eine Sache des gesunden Menschenverstandes ist). Nun ist es natürlich nicht einfach damit getan, eine Art nebenberuflichen „Streitschlichter“ zu ernennen oder die Rechtsabteilung mit ein paar Mediationstrainings aufzurüsten.

Es geht vielmehr – und das macht die Sache anspruchsvoll – um ein systematisches Konfliktmanagement mit fest definierten Strukturen und Prozessen sowie einem angemessenen Budget. Davon ist das Gros der deutschen Unternehmen auch heute noch meilenweit entfernt. Vor gut zehn Jahren, als PwC und die Europa-Uni ihre Studienreihe starteten, waren in Deutschland viele Verfahren zur Konfliktbearbeitung noch kaum bekannt. Die meisten Unternehmen versuchten, Auseinandersetzungen in Verhandlungen beizulegen.

Auf Platz zwei rangierte bereits das Gerichtsverfahren, ziemlich abgeschlagen folgten Schiedsgerichtsverfahren, Schiedsgutachten, Schlichtung und Mediation. Und obwohl die Mehrheit der Befragten außergerichtliche Verfahren positiv beurteilte, war nach dem Scheitern von Verhandlungen der Rechtsweg das Mittel der Wahl: ab mit dem Konflikt an die Rechtsabteilung und dann flugs vor Gericht damit. Dieses Prozedere ist bekanntlich langwierig, teuer und selbst dann meist unerfreulich, wenn man Recht bekommt.

In der Studie von 2005 heißt es: „Die wichtigsten von den Befragten angegebenen Gründe für den Einsatz des Gerichtsverfahrens – Scheitern vorgeschalteter Verfahren, Klageerhebung des Gegners oder mangelnde Bereitschaft der Gegenseite, sich auf andere Verfahren einzulassen – weisen darauf hin, dass gerichtliche Schritte zumeist als unvermeidbar wahrgenommen werden. Spezifische Vorteile, die nur Gerichtsverfahren bieten, spielen jedoch kaum eine Rolle. (…) Die Einzelbewertung der Verfahrensvorteile zeigt, dass die Beteiligten die Vorzüge der einzelnen Verfahren durchaus sehr differenziert wahrnehmen. In der Gesamtbetrachtung der Vorteilsbewertungen folgen Mediation, Schlichtung und Schiedsgutachten der Verhandlung, die insgesamt am besten beurteilt wird. Das Gerichtsverfahren wird von den Befragten mit Abstand als am wenigsten vorteilhaft eingestuft.“


„Es fehlt an professionellen Managementprozessen“

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Das ist ein Nukleus der gesamten Serie: Alle rennen zum Gericht, aber keiner will das“, resümiert PwC-Director Dr. Michael Hammes, Experte für Streitverfahren und Mitautor der Studienreihe. Dafür seien vier Faktoren ursächlich:

1. Es fehlt an theoretischem Wissen über die verschiedenen Konfliktbeilegungsverfahren.

2. Es fehlt an praktischen Erfahrungen mit verschiedenen Konfliktbeilegungsverfahren.

3. Hierarchien und Systemwiderstände – etwa unterschiedliche Denk- und Verhaltensmuster zwischen Rechtsabteilung und Management oder zwischen einzelnen Fachabteilungen – verhindern ein professionelles Konfliktmanagement.

4. Es fehlt an professionellen Managementprozessen. Viele lösen Konflikte nach Gutdünken.

Was Wissen und Erfahrung angeht, habe sich in den vergangenen Jahren schon einiges getan – obwohl es, so Hammes, „nun auch keine Explosion an Mediationsfallzahlen“ gegeben habe. Ein gewichtiger Grund dafür, dass sich vielerorts noch kein strategisch fundiertes Konfliktmanagement durchgesetzt hat, ist schlicht das Fehlen der Prozesse. Aus diesem Grund beschäftigen sich die Studien von 2011 und 2013 verstärkt mit der „Systematisierung von Erfahrungswissen und innovativer Praxis im Konfliktmanagement deutscher Unternehmen“ (2011) sowie „Perspektiven der weiteren Professionalisierung von Konfliktmanagement“ (2013). „Fehlt ein definierter Managementprozess, ist es schwer, Konflikte in gelenkte Bahnen zu leiten“, sagt Hammes. Hier gilt es, Abhilfe zu schaffen.

Das ist auch der erklärte Wille des 2008 gegründeten Round Table Mediation und Konfliktmanagement der deutschen Wirtschaft (siehe www.rtmkm.de). Wirft man einen Blick auf die Besetzung dieses Runden Tisches – an dem unter anderem ABB und Audi, Deutsche Bank und Deutsche Telekom, Lufthansa, Porsche und Siemens sitzen – fällt auf: Hier sind bis auf sehr wenige Ausnahmen managergeführte Unternehmen versammelt. Wird Konfliktmanagement von Managern eher als not- wendig erachtet als in inhabergeführten Unternehmen?

„Dass Konfliktmanagement grundsätzlich nötig ist, dürfte in Familienunternehmen bekannt sein. Eventuell hat sich die Überzeugung, dass Strukturen und Prozesse für ein professionelles Konfliktmanagement nötig sind, noch nicht so durchgesetzt“, sagt PwC-Mann Hammes. Dabei steht für ihn fest: „Wo Menschen miteinander zu tun haben, bleiben Konflikte nicht aus.“ In einigen Branchen seien schon die Produkte konfliktbeladen, etwa im Anlagenbau. In anderen Branchen arbeiteten sehr viele sehr unterschiedliche Menschen – auch das birgt Potenzial für Auseinandersetzungen. Eines ist indes überall gleich: Die Etablierung eines systematischen Konfliktmanagements muss von der Unternehmensführung gewollt sein und unterstützt werden, sonst hat sie keinen Sinn.

Mag sein, dass so mancher Unternehmenslenker zunächst davor zurückschreckt. Dabei ist ein professionelles Managen von Auseinandersetzungen ein Pfund, mit dem sich wuchern lässt: Es dient der werteorientierten Unternehmensführung, wie in der 2013er Studie nachzulesen ist. Und die wiederum macht Unternehmen für Mitarbeiter und Nach- wuchs gleichermaßen attraktiver. Ganz abgesehen davon, dass Unternehmen Kosten sparen, wenn sie Konflikte vernünftig lösen, erhöhen sie zudem den Wert ihrer Arbeitgebermarke und binden ihre Kunden. Worauf warten Sie?

Text: Vera Hermes

 

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