Digitale Beziehungen haben kein gutes Image. Sie seien nicht wirklich echt. Kein Ersatz für reale Begegnungen. So etwas wie Kontakte 2ter Wahl. Eben minderwertiger als reale und somit „echte“ Beziehungen.
Wer sich übers Internet kennengelernt hat, gilt als „kontaktarm“ oder nicht fähig, real Menschen kennen zu lernen. Kennst Du das Gefühl, wenn man ein Paar fragt, wo es sich kennen gelernt hat? „Ach, im Internet, so so“ und wird komisch grinsend angeguckt. Oder mahnende Eltern, die ihren Kindern raten, sie sollen mal raus gehen und „echte“ Freunde finden.
Viel mehr noch: wir verabreichen wir uns für sauteures Geld „Digital Detox Kuren“ um uns von zu vielen virtuellen Erlebnissen mit zu vielen digitalen Kontakten zu heilen. Ich bin überzeugt, gäbe es nicht diese Mär von „Zuviel Internet ist ungesund“, gäbe es diesen Hype gar nicht. Erstaunt hat mich auch die Beobachtung, wo Menschen über ihre Einsamkeit, insbesondere während des Lockdowns erzählten und dabei sich oft Stunden und Tage in Clubhouse oder Facebook „nur“ mit hunderten von Onlinekontakten darüber austauschen konnten. Da braucht es doch einfach nur ein Brain-Update „Online Freunde sind gut. Online Freunde können auch echte Freunde sein“ und schon gucke ich anders auf meine angebliche Einsamkeit.
Warum gelingt uns das nicht?
In der Psychologie sind zwischenmenschliche Beziehungen stets mit der Qualität „persönlicher“ Interaktionen untermauert. Genauso ist umfangreich erforscht, wie gesund körperliche Berührungen sind. Kein Wunder, dass sich in unseren Köpfen ein 2-Klassenbild einbrennt. Persönlich ist gut, nicht persönlich ist schlecht. Welchen Wert Internet-Nähe und die Qualität nicht-persönlicher Interaktion auf eine Beziehung hat, ist weitgehend unerforscht.
Einer meiner besten Freunde und gleichzeitig engster Geschäftsfreund lernte ich 2016 via Skype kennen. Über zwei Jahre haben wir an wichtigen, kritischen und auch umfassend strategischen Themen gearbeitet, alles via Telefon oder Skype. Die Beziehung wuchs und es entwickelte sich Loyalität, Unterstützung und Vertrauen – die wesentlichen Eckpfeiler einer Beziehung und Freundschaft. Mittlerweile kennen wir uns auch „persönlich“ und nehmen uns gern bei der Begrüßung in den Arm.
Natürlich mag ich auch persönliche Begegnungen. Ich weiß jedoch, auch digital kann sehr persönlich sein.