1. KUNDEN, DIE IM FIRST-LEVEL ANRUFEN, HABEN OFTMALS SCHON MIT „KOLLEGE INTERNET“ GESPROCHEN.
Der Erstkontakt im Kundenservice findet heute nicht im Call- Center statt. Der erste Kontakt zur Beantwortung von Fragen sind Suchmaschinen, Communitys und Feedback- und Bewertungs-Websites im Internet. Die Google-Suchanfragen zu allgemeinen Kundenservice-Fragen haben sich in den letzten fünf Jahren verzehnfacht.
Vor der Kaufentscheidung helfen uns Barcode-Scanner von unterschiedlichen Apps. Die Product-Scanner-App Barcoo wird in Deutschland, Österreich und der Schweiz von über 14 Mil- lionen Usern genutzt. Eine Bewertung oder einen Preisvergleich finden wir schneller, als der erste Verkäufer fragen kann, ob wir seine Hilfe benötigen. Ein Kauf findet auch jenseits von Online- Shops nur statt, wenn mehrere Online-Bewertungen vorhanden und positiv sind.
Und nach dem Kauf wird die Bedienungsanleitung mit der Verpackung entsorgt, weil sämtliche Produktbeschreibungen, Bedienungsanleitungen und Online-Tutorials im Internet einfach verfügbar sind. Diese Online-Dienste führen dazu, dass wir den 24/7-Service für nahezu jedes Produkt gelernt haben. Das Service-Delphi ist immer und sofort verfügbar: ohne Wartezeiten und mit der richtigen Lösung.
Und erst wenn die passende Lösung nicht sofort online verfügbar ist, nutzt man die Servicehotline des Herstellers. Ab jetzt steht der Service-Mitarbeiter in der direkten Konkurrenz zu dem Suchmaschinen-Riesen, der nie etwas vergisst. Durch die Vorrecherche sind Kunden sehr gut informiert. Diese Situation ist vergleichbar mit einem First-Level-Gespräch, das ohne Lösung an einen Experten im Second Level geleitet wird. Der Kunde wünscht jetzt eine direkte fallabschließende Bearbeitung, in der gleichen Antwortgeschwindigkeit wie im Internet. Ein professioneller Umgang mit Kunden in dieser Situation erfordert erheblich mehr als ein gutes Telefon-Training und eine umfangreiche Wissensdatenbank.
2. DIE ANFORDERUNGEN, DIE SICH AUS DIESER RAHMENBEDINGUNG ERGEBEN, ERFORDERN EIN KOMPLETTES UMDENKEN FÜR JEDEN SERVICE-TEILPROZESS.
Bereits im Recruiting müssen andere Talente gefunden werden. Service-Mitarbeiter mussten früher stark belastbar und prozesstreu sein. Die neuen Anforderungen im Kundenkontakt fordern von Mitarbeitern flexibles Denken und bewusste Eigenständigkeit. Nur diese Eigenschaften können den Anforderungen von Suchmaschinen-aufgeklärten Kunden heute gerecht werden.
Mitarbeiter mit diesen Eigenschaften verdienen zu Recht deutlich mehr als einen gezahlten Mindestlohn. Die Aus- und Weiterbildung als nächster Faktor muss nicht mehr im Wesentlichen am Produkt ausgerichtet sein. Vielmehr muss der Mitarbeiter als Erstes den Kunden in der individuellen Situation verstehen. Als Zweites gehört in die Ausbildung das konkrete Verständnis von Marke und Markenkern, um die Kommunikation und das Handeln auch ohne Prozess an den Markensignalen auszurichten. Diese Investition in die Ausbildung der Mitarbeiter ist langfristig ausgelegt.
Warum soll ein Mitarbeiter sich um Kunden kümmern, wenn sich das Unternehmen nicht um den Mitarbeiter kümmert?
Auch die Rahmenbedingungen am Arbeitsplatz müssen für diese Mitarbeiter ausgerichtet sein. Hier steht Wohlfühlatmosphäre eindeutig vor kubistischer Arbeitsplatzmonokultur. Gefordert werden zusätzlich flexible Arbeitszeiten sowie die Möglichkeit, bei Bedarf von zu Hause aus zu arbeiten. Und der gesamte Führungsprozess muss an diese Situation angepasst werden. Das Unternehmen hat sein Verhalten gegenüber Kunden schon lange an den Kundenbedürfnissen ausgerichtet. Die Orientierung an Mitarbeiterbedürfnissen wird zu einer erhöhten Kundenzufriedenheit führen. Warum soll ein Mitarbeiter sich um Kunden kümmern, wenn sich das Unternehmen nicht um den Mitarbeiter kümmert?
3. EIN FÜHRUNGSLEITBILD ORIENTIERT SICH AM MARKENKERN UND DEN CHARAKTEREIGENSCHAFTEN EINER MARKE.
Der richtige Weg existiert nicht. Jede Service-Strategie leitet sich aus der Unternehmensstrategie ab und orientiert sich damit an der Positionierung und dem Markenkern. Self Service-Portale und IVR sind im Discount-Bereich zentrale Elemente, um Kosten zu reduzieren. Im Premium-Service ist das Self Service-Portal ein zusätzliches Angebot, das optional als Servicekanal angeboten wird. Beispiel Dynamik (Sportartikel, Automobile, Freizeit …)
Möchte eine Marke mit der Eigenschaft Dynamik beschrieben werden, muss auch der persönliche Kontakt (Markenkontakt- punkt) im Kundenservice dynamisch gestaltet werden. Welche Reaktionszeit auf eine E-Mail kann mit „Dynamik“ beschrieben werden? Länger als 24h mit Sicherheit nicht, und auch eine standardisierte Eingangsbestätigung unterstützt die Markenbildung nicht. Meldet sich jedoch umgehend ein Mitarbeiter telefonisch, der auch ohne starre Gesprächsleitfäden und antrainierte Redebausteine das Anliegen klären kann, wird der persönliche Eindruck der Marke neben der Werbung auch im Kundenkontakt gerecht. Damit ein Mitarbeiter dieses Gefühl vermitteln kann, benötigt er den Freiraum, dynamisch arbeiten zu können. Das Coaching muss stark auf Individualität und Spontaneität ausgerichtet werden.
Beispiel Vertrauen (Versicherung, Bank, Nahrungsmittel …) Werte wie Vertrauen werden bei Kunden oftmals über die Kriterien Kompetenz und Erfahrung erzeugt. Der Mitarbeiter im Kundenservice muss zusätzlich spüren, dass Vertrauen sowohl gegenüber dem Kunden als auch dem Mitarbeiter ein wahrnehmbarer Faktor ist. Die Intensität der Ausbildung der Mitarbeiter muss als Ergebnis einen Experten hervorbringen, der keine Unsicherheiten im Umgang mit Kundenanliegen zulässt. Nur durch sein Wissen wird der Mitarbeiter einem Kunden das Gefühl der Sicherheit vermitteln können. Durch Kommunikationstraining und Coaching wird oft versucht, Konjunktive aus dem Gespräch zu verbannen. Gezieltes Produkt-Training ist hier oft der einfachere Weg, um den Mitarbeitern ein klares Verständnis zu geben.
4. CORPORATE BEHAVIOUR BEGINNT BEIM MITARBEITER
- Die bewusste Integration der Marke in den Kundenservice beginnt mit dem Mitarbeiter. Schaffen Sie ein einheitliches Verständnis über den Begriff Marke und Markenkern und erläutern Sie Ihren Mitarbeitern, welche Eigenschaft Ihre Marke hat.
- Prüfen Sie, ob Ihre Service-Kontaktpunkte zu Ihrer Marke und zu Ihren Kunden passen.
- Erarbeiten Sie, an welchen Markenkontaktpunkten das Markenversprechen noch nicht gelebt wird und mit welchen Maßnahmen ein gemeinsames Ziel erreicht werden kann.
- Priorisieren Sie die Vorschläge der Mitarbeiter mit dem gesamten Management und geben Sie Ihren Mitarbeitern Feedback.
- Arbeiten Sie an wichtigen Themen und befassen Sie sich mit schnell lösbaren Herausforderungen.
- Feiern Sie Erfolge und zeigen Sie durch Kundenfeedback und KPIs Verbesserungen auf.
- Führen Sie einen kontinuierlichen Kontroll- und Feedback- Prozess ein, der sich an Markenkontaktpunkten orientiert.
- Kommunizieren Sie die Ergebnisse im gesamten Unternehmen.
- Nutzen Sie die Fähigkeiten aller Mitarbeiter für diese Maßnahmen, beteiligen Sie alle und treten Sie bewusst aus dem Fokus.
- Verwenden Sie nicht das Buzzword Corporate Behaviour.
5. WIEDER ETWAS NEUES? CORPORATE BEHAVIOUR IM KUNDEN- SERVICE – ODER ALLES EIN ALTER HUT?
Der Kunde, der Mitarbeiter und das gesamte Unternehmen profitieren von einer Ausbildung der Mitarbeiter zum Markenheld und Markenbotschafter. Er wird ein wahrgenommener Bestandteil der gesamten Serviceorganisation und trägt damit Verantwortung zur Erreichung der Service- und Unternehmensziele.
Bei Inhouse-Serviceeinheiten wird die Markenorientierung oft sehr deutlich gelebt. Hier weiß jeder Mitarbeiter durch seinen Arbeitsvertrag und die monatliche Gehaltsabrechnung, welche Marke und welche Werte für seine Arbeit relevant sind. Und bei Call-Center-Dienstleistern, die für andere Marken und Unternehmen arbeiten? Gerade in dieser Konstellation hilft eine Steuerung über Corporate Behaviour stark, um auch externe Mitarbeiter von der eigenen Marke „anzustecken“. Es reicht nicht aus, das Call-Center in den Unternehmensfarben zu streichen. Auch hier muss die Marke für jeden Mitarbeiter erlebbar gemacht werden.
Die Steuerung über Corporate Behaviour ist nichts Neues. Führungskräfte müssen Menschen mögen. Mitarbeiter müssen beteiligt werden. Der Kundenservice orientiert sich am Kunden und am Unternehmen. Nur: Heute werden Produkte immer vergleichbarer. Dienstleistungen werden transparenter und eine Differenzierung erfolgt immer mehr über guten Service. Und: Sehr gut reicht einfach nicht mehr aus.
• Kundenservice soll Erlebnisse schaffen!
• Kunden sollen begeistert werden!
• Aus Kunden sollen Fans werden!
Die Grundlage dazu ist vorhanden. Wir müssen es nur zulassen und Rahmenbedingungen schaffen, dass Mitarbeiter ihre Begeisterung weitergeben können.
VON KAI LODDENKEMPER
KAI LODDENKEMPER ist Head of Customer Care bei Immobilien Scout in Berlin. Der Experte hält auf der CCW in Berlin einen Vortrag über „Markenbotschafter im Kundenservice – Corporate Identity als Ansatz zur Mitarbeiterbindung“. Prädikat: ganz besonders empfehlenswert! www.immobilienscout24.de
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