Karriere: Lebe so, als wärst Du schon, was Du sein willst.

Also hab ich mir die damals obligatorische Erstausstattung für den Verkauf zugelegt um dann mit meinem Köfferchen in einem Wohngebiet von Tür zu Tür zu klingeln. Die Nächte davor war ich aufgeregt und habe mir ein Bild davon gemacht, wie ich eine erfolgreiche Avon Beraterin bin.

Aber irgendetwas fehlte noch: am nächsten Morgen bin ich in die Stadt gefahren und habe mir meinen ersten dunkelblauen Businessanzug gekauft.

Jetzt war mein Bild vollständig. Ich war zwar erst 15, aber mit meinem Businessoutfit, rot lackierten Fingernägeln und passendem Lippenstift sah ich genau so aus, wie ich mir eine erfolgreiche Verkäuferin für Beautyprodukte vorgestellt habe.

Es funktionierte. Meine Kundinnen waren oft doppelt oder dreimal so alt wie ich. Doch ich wurde ernst genommen. Ich verkaufte wie eine „Erwachsene“.

Einige Jahre später, mittlerweile hatte ich die Call Center Branche für mich entdeckt, ging ich in einen Buchladen und suchte Fachliteratur zum Thema „Telefonmarketing, Verkaufen, Erfolg.“ Der Siegeszug des Telefons stand uns in Deutschland noch bevor.

Ich fand Frank Bettger (†1981), ein Bestsellerautor aus den USA, der zuvor selbst durch Telefonmarketing zu einem der erfolgreichsten Versicherungsverkäufer wurde. „Das passt doch“, dachte ich und bekam jedoch in seinem Buch weitaus mehr als nur Telefontipps.

Alles immer eine Nummer größer

An einer Stelle im Buch schrieb er, dass er sich immer so verhalten, gekleidet, gelebt und geredet hat, als wäre er schon das, was er werden wollte: Amerikas erfolgreichster Versicherungsverkäufer. Er hat sich Anzüge gekauft, die einen Tick zu teuer für seinen aktuellen Status war. Ein Auto gefahren, dass eine winzige Nummer zu groß für ihn war. Mit Konzerngrößen geredet, als wäre er bereits ihr bester und einziger Versicherungsberater. Golfclubs, Restaurants, sein Wohnort. Alles immer eine Nummer größer, passend zum nächsten Schritt in seinem Leben. So etwa wie die Mutter, die ihren Kindern Schuhe eine halbe Nummer größer kauft, weil sie weiß, dass sie da schnell reinwachsen werden. „Lebe und verhalte Dich immer so, als wärst Du schon das, was Du erst noch werden willst“.

Ich erinnerte mich an meine Zeit als 15jährige Avon Beraterin. „Stimmt“, dachte ich. Aber ich zweifelte auch. Denn eigentlich passte das nicht zu dem, was ich mir unter einer „netten“ Iris vorgestellt hatte. Immerhin war ich keine 15 mehr, sondern knapp über 20. Was ist mit Bescheidenheit? Wird man mich nicht für großkotzig halten? Und Größenwahn ist auch nicht gerade das, was ich mir nachsagen lassen wollte.

Dennoch, es hatte Klick bei mir gemacht. Ich hatte ein Bild davon, wer und was ich sein wollte. Eine erfolgreiche Call Center Managerin, eine Führungskraft, eine gefragte Expertin für Entscheider im Customer Service.

Ich kaufte weniger, aber hochwertige Businessklamotten. Schmuck wenig, aber echt. Ich wechselte von VHS Kursen zu Seminaren bei SMP St. Gallen. Mein Cabrio, meine Wohnung, immer einen Tacken größer als der Status quo. Auch mein Wording änderte sich wie von selbst. Aus „Ich möchte“ wurde „Ich bin“. Von „Ich werde“ in „Ich habe“. In Business Clubs gesellte ich mich als kleine Angestellte wie selbstverständlich zu den Gruppen, wo die Big Bosse diskutierten.

„Der Weg ist da, wo die Angst ist“

Oft hatte ich feuchte Hände vor Nervosität. Ich hatte immer ein wenig Angst „aufzufliegen“, „enttarnt“ zu werden. Ich glaube, diese Angst ist sogar wichtig. So blieb ich immer selbst reflektiert. Weder war ich unvernünftig bei meinen Ausgaben, noch hab ich es übertrieben in meinem Auftreten. Arroganz oder Überheblichkeit ist immer nur einen winzigen Schritt davon entfernt, wenn man sich ein Stück größer macht. Durch meine Angst, habe ich die Bodenhaftung nie verloren.

Doch ich wurde nicht enttarnt oder gar zurück gewiesen. Ich habe das damals natürlich nie jemanden direkt gefragt. Aber ich glaube, so manchen Termin bei einem Vorstand habe ich bekommen, weil er meinen Mut bewunderte. Vielleicht wurde ich auch manchmal ein wenig belächelt. Aber was soll´s? Ich habe gezeigt, was ich werden will, habe es bekommen und wurde es.